Die Versuchung der Hoffnung
würde.
„Verdammter Mist!“, sagt John, als er schließlich wieder zu mir in den Wagen steigt und die Tür hinter sich schließt. Er sieht genervt aus und auf seiner Stirn hat sich eine tiefe, ärgerliche Falte gebildet. „Der Abschleppdienst will bei dem Wetter nur in Notfällen rauskommen, aber wir stehen ja auf einem Parkplatz. Alle Freunde, die ich angerufen habe, sind entweder nicht erreichbar oder haben sonstige Ausreden auf Lager. Wir müssen schauen, ob wir irgendwo ein Taxi auftreiben können …“
Bei diesem Wetter? Wohl eher nicht.
Die Wahrscheinlichkeit, jetzt ein Taxi zu bekommen, ohne eine Stunde Wartezeit dafür in Kauf nehmen zu müssen, ist mehr als gering.
„Ich denke, wir sollten uns einfach schon auf den Weg machen. So weit ist es doch gar nicht.“
Perplex sieht Jonathan mich an.
„Hope, das ist ein Fußmarsch von bestimmt einer Dreiviertelstunde. Und es ist eiskalt!“
„John, es ist nur eine Dreiviertelstunde! Und es schneit nur ein bisschen .“
Er guckt noch immer völlig ungläubig und ich muss lachen.
„Da, wo ich herkomme, lieber Großstadtbewohner, lernt man zwei Dinge: Schießen und zu Fuß gehen. Und da wir für heute eindeutig schon genug Zeit in deinem kalten Auto verbracht haben und ich kein gesteigertes Interesse daran habe, hier zu erfrieren, würde ich vorschlagen, du setzt deinen entzückenden Hintern in Bewegung und wir gehen los.“
Er sitzt immer noch im Auto und glotzt mich an und ich schüttle lachend den Kopf, steige aus und laufe einfach los. Es erstaunt mich immer wieder, wie unterschiedlich die Vorstellung von einem Begriff wie „weit“ so ausfallen kann.
Noch immer rieselt es zarte, weiße Schneeflocken vom Himmel, die im Schein der Straßenlaternen sanft glitzern. Ich bücke mich und nehme im Gehen eine Handvoll Schnee auf. Kurze Zeit später höre ich John die Autotür zuschlagen.
„Hope, warte doch mal!“
Lächelnd drehe ich mich zu ihm um, während er hinter mir hereilt. Plötzlich in übermütiger Stimmung, forme ich den Schnee in meiner Hand zu einem lockeren Ball, ziele und treffe John mitten ins Gesicht.
Sein Gesichtsausdruck ist Gold wert. Als er aus dem Auto stieg, war er noch deutlich genervt. Als er den Schneeball abbekam, wechselte er von genervt zu irritiert zu ungläubig. Und jetzt breitet sich ein Lachen auf seinem Gesicht aus.
Ich habe mit einer Schneeballattacke seinerseits gerechnet, stattdessen kommt er jetzt im Laufschritt auf mich zu. Kurz überlege ich, ob ich die Flucht ergreifen soll, aber da er eindeutig schneller ist als ich und der Schnee obendrein recht rutschig, beschließe ich, einfach stehen zu bleiben. Vielleicht habe ich auch gar kein Interesse daran, ihm tatsächlich zu entkommen.
Als er bei mir ankommt, lacht er immer noch. Atemlos reißt er mich in seine Arme und wirbelt mich, als wäre ich ein kleines Kind, lachend ein paar Mal im Kreis herum. Dann bleibt er stehen und küsst mich, so leidenschaftlich, dass mir die Knie weich werden.
„Du bist eine erstaunliche Frau, Hope!“ Zum Antworten komme ich nicht, weil seine Lippen schon wieder auf den meinen liegen.
Wir brauchen für die Strecke die doppelte Zeit, was daran liegt, dass wir immer wieder stehen bleiben und einfach nicht voneinander lassen können. Was den Effekt hat, dass wir beide völlig durchgefroren sind, als wir endlich in Johns Wohnung angekommen sind.
„Du brauchst eine heiße Dusche, um wieder aufzutauen“, stellt John fest, als wir unsere schneeverkrusteten Schuhe ausziehen und ich meine Zehen vorsichtig bewege, die sich mittlerweile wie tiefgefroren anfühlen.
Er geht ins Bad und dreht das warme Wasser auf, während ich ihm folge. Ich ziehe mich komplett aus, und als er sich wieder zu mir umdreht, bin ich nackt.
„Kommst du mit?“ Ich stelle mich unter das warme Wasser und es dauert nicht lang, bis sich unsere Körper in der angenehm wärmenden Nässe aneinanderschmiegen.
Der nächste Tag ist ein Freitag und zum ersten Mal in meinem Leben schwänze ich alle Lehrveranstaltungen, die heute auf meinem Stundenplan gestanden hätten.
Kapitel 16
Dass ich blaumache, ist in letzter Zeit leider fast zur Gewohnheit geworden. Zum Glück trägt Valerie mich immer brav in alle Anwesenheitslisten ein. Außerdem ist es mir ohnehin schon immer leichter gefallen, mir den Lernstoff selbst zu erarbeiten, als irgendwelchen vor sich hin schwadronierenden Dozenten in ihren Vorlesungen zu folgen.
Heute schaffe ich es gerade eben
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