Die Versuchung der Zeit: Hourglass 2 - Roman (German Edition)
klar.« Ich sah sie an, während ich ihr den rechten Stiefel auszog. Bevor ich mich dem linken zuwandte, drehte ich mich herum und wackelte ein bisschen mit dem Hintern.
»Was soll das denn?«, fragte sie lachend.
»Interessante Socken«, erwiderte ich nur.
Sie waren limettengrün mit pinkfarbenen Streifen.
»Ich finde, was ein Mädchen unter ihren Sachen trägt, ist genauso wichtig wie die Sachen selbst. Und ich mag’s eben ein bisschen peppig.« Sie sah mich an, während sie die Socken aufreizend nach unten rollte und sie mit Schwung über die Schulter warf. Eine landete im Bücherregal, die andere in der Ecke.
»Du machst mich fertig! Wie schaffst du’s nur, mich in diesem schrecklichen Desaster zum Lachen zu bringen?«
»Das ist eine Gabe.« Lily rutschte mitten aufs Bett und setzte sich in den Schneidersitz. »Ich bin bereit, wenn du so weit bist.«
»Ich habe Abi gesagt, ich würde nicht zulassen, dass du dich in Gefahr bringst, und das war mein Ernst. Und tu du nicht so, als wäre es dir egal, was deine Großmutter sagt.«
»Die Suche nach Erinnerungen ist kein Risiko. Es geht doch nur um meine Vergangenheit«, widersprach Lily. »Wenn wir es bei mir schaffen, weißt du, wonach du bei deinen Eltern suchen musst. Bei ihnen müsste es sogar einfacher sein als bei mir, weil ihr drei viele der Erinnerungen und Emotionen geteilt habt.«
Ich setzte mich zu ihr aufs Bett, umfasste ihre Hüften und zog sie näher an mich heran. Die Bewegung brachte sie aus dem Gleichgewicht, und sie musste sich an meinen Armen festhalten, um nicht seitlich wegzukippen. Ich starrte kurz auf ihre Finger auf meiner Haut, bevor ich ihr in die Augen sah. Dann beugte ich mich vor, bis unsere Lippen sich trafen.
Die Wärme unserer Körper sammelte sich in meiner Brust und ließ meine Haut glühen. Sie legte die Arme um meinen Hals und zog mich an sich.
»Deshalb sind wir nicht in dein Zimmer gegangen«, flüsterte ich.
»Ich weiß«, hauchte sie. »Aber es ist ein schöner Nebeneffekt.«
»Hast du es dir anders überlegt? Hast du Bedenken, mich ins Innere deiner Seele zu lassen?«
»Nein.«
»Es ist ein sehr intensives Gefühl für mich, wenn ich Gefühle auf mich nehme. Ich weiß, dass es nicht leicht für dich ist, sie mir zu überlassen.« Ich runzelte die Stirn. »Und diesmal wird es sogar noch intensiver, weil ich mich zusätzlich auf die Erinnerungen konzentriere, die mit den Gefühlen zusammenhängen. Was ist, wenn ich etwas falsch mache? Was ist, wenn ich dich verletze?«
»Das wirst du nicht.« Sie berührte meine Wange. »Ich fürchte mich vor nichts, wenn ich mit dir zusammen bin.«
Ich legte meine Hände auf ihre Knie.
»Warte. Ich glaube, bei der Erinnerung, nach der du suchst, sollte es um etwas Bedeutsames gehen.«
»Du hast dir darüber Gedanken gemacht?«
Sie nickte.
»Was soll ich nehmen?«
»Den Tag, an dem ich Kuba verlassen habe.«
»Nein, Lily. Was ist, wenn ich dir die Erinnerung nicht zurückgeben kann? Und möchtest du es wirklich wieder erleben – zweimal? Denn wenn ich dir die Erinnerung nehme und sie dir zurückgebe, wird es so kommen. Da bin ich mir ziemlich sicher.«
»Ich will es noch einmal erleben. Notfalls auch zweimal.« Sie biss sich auf die Lippe. »Ich habe die Erinnerung so lange verdrängt. Aber ich glaube, es würde mir guttun, mich zu erinnern. Was muss ich machen?«
»Nun ja, konzentrier dich auf den Tag und wie du dich gefühlt hast, denk an etwas, woran du dich erinnern kannst. Ich weiß, du warst noch sehr klein, aber selbst das winzigste Detail könnte hilfreich sein, was du anhattest, das Wetter, irgendetwas in der Art.«
Sie holte tief Luft. »Die Sonne hat geschienen nach tagelangem Dauerregen. Meine Mom hatte immer sehr viel Angst um mich, aber an diesem Tag … Ich war so glücklich, draußen zu sein, frei. Sie hing Wäsche auf. Ich habe mich ins Gras gelegt, nur weil ich das Gefühl auf den nackten Beinen genießen wollte. Danach ist alles irgendwie …«
»Das reicht.« Ich konnte den Tag auf ihrer emotionalen Zeitachse vor mir sehen. Es war ein wichtiger Tag. »Versprich mir, dass du es wirklich willst.«
»Ja.«
Ich beugte mich vor, umschloss ihr Gesicht mit den Händen und schaute ihr in die Augen.
Emotionen durchströmten meinen Körper, sobald ich sie berührte. Bilder, die ich nicht verstand, gaben ihr das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Und dann gab es Schmerz. Glück und eine Schaukel. Weiße Wolken und im Wind wehende Wäschestücke. Unruhe,
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