Die Versuchung
in die Augen zu schauen. Sie sagte nichts, nickte nur. Für Donovans Geschmack war sie ziemlich aufgedonnert gekleidet. Man hätte nie vermutet, daß sie vor knapp zehn Jahren eine hungernde Möchtegern-Schauspielerin gewesen war, die sich Drinks erbettelt hatte. Nach längerem Aufenthalt in Frankreich war sie seit fünf Jahren wieder in den Vereinigten Staaten. Im Zuge seiner Nachforschungen über die Lotteriegewinner hatte Donovan die Frau auf Herz und Nieren überprüft. Sie war inzwischen ein hoch geachtetes Mitglied der Washingtoner Gesellschaft. Plötzlich fragte er sich, ob sie und Alicia Crane sich kannten.
Nachdem Donovan bei LuAnn Tyler kein Glück gehabt hatte, hatte er mit den elf anderen Lotteriegewinnern Verbindung aufgenommen. Sie waren viel leichter aufzuspüren gewesen als LuAnn. Keiner flüchtete vor dem Gesetz – jedenfalls noch nicht.
Reynolds war die einzige, die sich bereit erklärt hatte, mit Donovan zu sprechen. Fünf Gewinner hatten sofort aufgelegt. Herman Rudy hatte ihm Prügel angedroht und Ausdrücke benutzt, die Donovan seit seiner Dienstzeit in der Marine nicht mehr gehört hatte. Die anderen hatten nicht zurückgerufen, nachdem er ihnen eine Nachricht hinterlassen hatte.
Reynolds führte Donovan in den Salon. Es war ein großer, luftiger Raum, mit modernen Möbeln und kostbaren Antiquitäten ausgestattet, offensichtlich mit Hilfe der geschulten und kundigen Augen eines Innenarchitekten.
Bobbie Jo Reynolds setzte sich in einen Ohrensessel und bedeutet Donovan, auf dem kleinen Sofa ihr gegenüber Platz zu nehmen. »Möchten Sie Tee oder Kaffee?« Immer noch vermied sie es, ihn anzuschauen. Ihre Hände schlossen und öffneten sich nervös.
»Nein, vielen Dank.« Er beugte sich nach vorn und nahm sein Notizbuch und ein Diktiergerät hervor. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich unser Gespräch aufzeichne?«
»Warum ist das notwendig?«
Aha, dachte Donovan. Plötzlich zeigt sie Rückgrat. Er beschloß, dies sofort im Keim zu ersticken, ehe die Frau renitent wurde.
»Eigentlich hatte ich angenommen, Miss Reynolds, daß Sie zu einem Gespräch mit mir bereit sind, da Sie mich zurückgerufen haben. Ich bin Reporter. Ich möchte Ihnen keine Worte in den Mund legen, sondern nur Tatsachen bringen. Verstehen Sie?«
»Ja«, sagte sie nervös. »Deshalb habe ich Sie ja zurückgerufen. Ich möchte nicht, daß mein Name in den Schmutz gezogen wird. Sie müssen wissen, daß ich in dieser Gemeinde seit Jahren sehr geachtet bin. Ich habe zahllosen Wohlfahrtsorganisationen großzügige Spenden zukommen lassen und gehöre mehreren Aufsichtsräten an …«
»Miss Reynolds«, unterbrach Donovan. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie Bobbie Jo nenne?«
Das Zucken auf ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. »Ich ziehe Roberta vor«, sagte sie pikiert.
Dies erinnerte Donovan so sehr an Alicia, daß er wirklich versucht war, sie zu fragen, ob die beiden sich kannten. Dann aber verzichtete er darauf. Das war nicht der Grund seines Besuchs.
»Also gut, Roberta. Ich weiß, daß Sie sehr viel Gutes getan haben und in der Tat eine Stütze der Gemeinde sind, aber ich bin nicht an der Gegenwart interessiert. Ich möchte vielmehr über die Vergangenheit reden, besonders über die Zeit vor zehn Jahren.«
»Das haben Sie bereits am Telefon erwähnt. Die Lotterie.« Sie fuhr sich mit zitternder Hand durchs Haar.
»Stimmt. Die Quelle all dieser Pracht.« Er ließ den Blick durch den prunkvollen Salon schweifen.
»Daß ich vor zehn Jahren in der Lotterie gewonnen habe, dürfte jetzt doch kaum noch von Interesse sein, Mr. Donovan.«
»Nennen Sie mich Tom.«
»Nein. Lieber nicht.«
»Wie Sie wünschen, Roberta. Kennen Sie eine gewisse LuAnn Tyler?«
Reynolds dachte kurz nach; dann schüttelte sie den Kopf. »Der Name kommt mir nicht bekannt vor. Sollte ich die Frau kennen?«
»Wahrscheinlich nicht. Sie hat ebenfalls in der Lotterie gewonnen. Zwei Monate nach Ihnen.«
»Das freut mich für sie.«
»Sie ähnelte Ihnen damals sehr. Bettelarm, keine Zukunft, kein Ausweg aus ihrer Misere.«
Reynolds lachte nervös. »Sie schildern das so, als wäre ich verzweifelt gewesen. Aber so war es nicht.«
»Aber Sie sind nicht gerade in Geld geschwommen, stimmt’s? Ich meine, deshalb haben Sie doch in der Lotterie gespielt, oder?«
»Na ja, vielleicht. Aber ich hatte nicht mit einem Haupttreffer gerechnet.«
»Wirklich nicht, Roberta?«
Sie schaute ihn überrascht an. »Was reden Sie denn?«
»Wer tätigt
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