Die Versuchung
Gefühl, daß er ihr etwas verkaufen wollte. Was für ein Witz. Keine Kreditkarten, kein Girokonto, nur das bißchen Bargeld in einer Plastiktüte im Korb für Lisas schmutzige Windeln. Es war der einzige Platz, an dem Duane nie suchen würde. Nur zu, Mister, versuchen Sie mal, mir was anzudrehen! Kreditkartennummer? Moment, ich denke mir schnell eine aus. VISA ? Mastercard? Amex? Platin. Die habe ich alle – jedenfalls in meinen Träumen.
Doch der Mann hatte ihren Namen gekannt. Und dann hatte er von ihrem Job gesprochen. Er wollte ihr nichts verkaufen, er bot ihr einen Job an.
Wie er an ihre Telefonnummer gekommen sei, hatte LuAnn ihn gefragt. Diese Information sei mühelos zugänglich, hatte der Mann geantwortet – so überzeugend, daß LuAnn ihm auf Anhieb geglaubt hatte. Aber ich habe schon einen Job, hatte sie ihm gesagt. Der Mann hatte gefragt, wieviel sie verdiene. Anfangs wollte LuAnn die Frage nicht beantworten, dann aber schlug sie die Augen auf, während Lisa zufrieden nuckelte, und sagte es ihm. Sie wußte selbst nicht warum. Später redete sie sich ein, sie hätte vorausgeahnt, was kommen würde.
Denn da hatte der Mann die Bezahlung erwähnt.
Hundert Dollar pro Wochentag, zwei Wochen garantiert. Rasch hatte LuAnn die Summe im Kopf ausgerechnet. Das waren tausend Dollar und die reelle Chance, noch mehr Arbeit zu den gleichen Bedingungen zu bekommen. Und es waren nicht einmal ganze Tage. Der Mann hatte von vier Stunden pro Tag gesprochen. LuAnn könnte ihren Job in der Truckerkneipe also weiterführen wie gehabt. Fünfundzwanzig Dollar die Stunde bot ihr der Mann. LuAnn kannte niemanden, der soviel Geld verdiente. Mein Gott – in einem Jahr machte das fünfundzwanzigtausend Dollar! Und dabei würde sie nur halbtags arbeiten. Das entsprach fünfzigtausend Dollar jährlich im Vollzeitjob. Nur Ärzte und Anwälte und Filmstars verdienten eine so unvorstellbare Summe, nicht aber eine ledige Mutter ohne Schulabschluß, die sich mit einem versoffenen Typen namens Duane hoffnungslos in den Krallen der Armut befand. Wie als Antwort auf ihre unausgesprochenen Gedanken rührte sich Duane und starrte LuAnn aus blutunterlaufenen Augen an.
»Wo, zum Teufel, willst du hin?« Duane sprach mit dem gedehnten Akzent der Gegend. LuAnn hatte das Gefühl, als hätte sie die gleichen Worte und den gleichen Tonfall ihr Leben lang von allen möglichen Männern gehört. Als Antwort nahm sie eine leere Bierdose von der Kommode.
»Na, noch ’n Bier, Liebling?« Sie lächelte scheu und zog die Brauen hoch. Jede Silbe kam verführerisch über ihre vollen Lippen. LuAnn erzielte die erwünschte Wirkung. Duane stöhnte beim Anblick seiner Malz-und-Hopfen-Gottheit in der Blechrüstung und überließ sich den Schmerzen des heranrückenden Katers. Obwohl er häufig auf Sauftour ging, konnte er Alkohol schlecht vertragen. In der nächsten Minute war er wieder eingeschlafen.
Abrupt verschwand das Baby-Doll-Lächeln von LuAnns Gesicht. Sie las noch einmal den Zettel. Der Mann hatte gesagt, LuAnns Aufgabe bestehe darin, neue Produkte auszuprobieren, sich Werbespots anzuhören und ihre Meinung dazu abzugeben. Eine Art Marktforschung. »Demographische Analyse« hatte der Mann es genannt, was immer das bedeuten mochte. So etwas würde überall gemacht, hatte er gesagt. Es hinge mit den Preisen für die Werbung zusammen, bei Werbespots im Fernsehen und so was. Hundert Dollar pro Tag, um ihre Meinung zu sagen. Das tat LuAnn fast jede Minute ihres Lebens kostenlos.
Dieses Angebot ist zu schön, als daß nicht irgendein Haken daran wäre, hatte sie sich seit dem Anruf immer wieder gesagt. Sie war keineswegs so dumm, wie ihr Vater geglaubt hatte. Im Gegenteil – hinter dem hübschen Gesicht steckte eine weitaus höhere Intelligenz, als der verstorbene Benny Tyler sich je hätte träumen lassen, und diese Intelligenz war mit einer gewissen Cleverneß, ja, Gerissenheit gekoppelt. Nur so hatte LuAnn all die Jahre überleben können. Doch nur selten machte ein Mann sich die Mühe, mehr als ihr hübsches Äußeres zu ergründen. Oft träumte LuAnn von einem Leben, in dem Titten und Hintern nicht das Erste, Letzte und Einzige waren, das die Leute bei ihr sahen und worüber sie Bemerkungen machten.
Sie schaute zu Lisa. Die Kleine war jetzt wach. Ihre Blicke huschten im Zimmer umher, bis die Augen sich strahlend auf das Gesicht der Mutter hefteten. LuAnn lächelte ihre kleine Tochter an. Nur Mut, sagte sie sich. Schlimmer als das Leben, das sie
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