Die Versuchung
nicht Wirklichkeit geworden. Die vergangenen zehn Jahre waren sie ständig auf Reisen gewesen, hatten ständig Angst vor Entdeckung haben müssen. Und wenn LuAnn Geld für sich, Lisa oder Charlie ausgab, hatte sie bei dem Gedanken daran, wie sie an das Geld gekommen war, stets Gewissensbisse verspürt. Sie hatte oft gehört, die Superreichen wären aus den verschiedensten Gründen niemals glücklich. LuAnn, in Armut aufgewachsen, hatte nie daran geglaubt, hatte es für eine Täuschung gehalten, eine List der Reichen. Jetzt wußte sie, daß es stimmte, jedenfalls in ihrem Fall.
Während die Limousine dahinglitt, schloß LuAnn die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Sie würde sehr viel Kraft brauchen. Sie stand an der Schwelle zu ihrem zweiten neuen Leben.
KAPITEL 19
Thomas Donovan saß inmitten des Chaos in der Nachrichtenredaktion der Washington Tribune und starrte auf den Computermonitor.
Journalistische Auszeichnungen, die er von verschiedenen angesehenen Organisationen erhalten hatte, zierten Wände und Regale seines vollgestopften Mini-Büros – darunter der Pulitzerpreis, den er bekommen hatte, als er noch keine dreißig gewesen war. Jetzt war er Anfang Fünfzig, besaß aber immer noch das Ungestüm und den Enthusiasmus seiner Jugendzeit. Wie die meisten Enthüllungsjournalisten konnte er mit einer kräftigen Prise Zynismus aufwarten, was den Zustand der Gesellschaft betraf – vielleicht, weil er das Schlimmste davon mit eigenen Augen gesehen hatte. Zur Zeit arbeitete er an einer Story, deren Inhalt ihn anwiderte.
Er warf einen Blick auf einige Notizen, als ein Schatten auf seinen Schreibtisch fiel.
»Mr. Donovan?«
Donovan blickte auf. Es war ein junger Bursche aus der Poststelle.
»Ja?«
»Das ist gerade für Sie gekommen. Ich glaube, es sind Unterlagen, die Sie angefordert hatten.«
Donovan dankte ihm und nahm das Päckchen entgegen. Begierig vertiefte er sich in den Inhalt.
Die Lotterie-Story, an der er arbeitete, bot Zündstoff genug für eine Riesengeschichte. Donovan hatte bereits umfängliche Nachforschungen angestellt. Die US-Lotterie machte Jahr für Jahr Milliardengewinne, und die Summe wuchs jährlich um mehr als zwanzig Prozent. Die Regierung zahlte ungefähr die Hälfte der Einnahmen als Gewinne aus; etwa zehn Prozent gingen für die Losverkäufer und die Betriebskosten drauf. Blieben vierzig Prozent Reingewinn für Vater Staat – ein Prozentsatz, für den die meisten Firmen morden würden.
Seit Jahren stritten sich Wissenschaftler und Gutachter über die Frage, ob die Lotterie im Grunde eine rückwirkende Besteuerung sei, bei der die Armen die Hauptverlierer seien. Die Regierung ihrerseits stellte sich auf den Standpunkt, daß – demographisch gesehen – die Armen keineswegs einen überproportionalen Teil ihres Einkommens für das Lotteriespiel ausgäben.
Doch solche Argumente zogen bei Donovan nicht. Er wußte, daß Millionen von Spielern an der Armutsgrenze lebten und ihre Sozialhilfe oder Essensgutscheine, ja, alles, was sie in die Finger bekommen konnten, für Lotterielose ausgaben, um sich die Chance auf ein sorgenfreies Leben zu erkaufen, selbst wenn die Aussichten auf einen Haupttreffer in so astronomischer Ferne lagen, daß es geradezu lächerlich war. Und die Reklame der Regierung für das staatliche Lotto war im höchsten Maße irreführend, wenn es um die präzise Erklärung der Gewinnchancen ging.
Aber das war noch nicht alles. Donovan hatte die verblüffende Tatsache aufgedeckt, daß jährlich fünfundsiebzig Prozent der Gewinner Konkurs anmelden mußten: Jedes Jahr waren neun von zwölf Gewinnern pleite gegangen.
Donovans Aufhänger hatte mit obskuren Finanzmanagementfirmen und verschlagenen, aalglatten Typen zu tun, die sich bei diesen armen Menschen einschlichen und sie bis auf den letzten Cent aussaugten. Wohlfahrtsorganisationen bombardierten die Gewinner mit Anrufen und jagten sie gnadenlos. Vertreter verkauften ihnen mit diebischer Freude alles, was sie nicht brauchten, indem sie den Neureichen ihre Waren als »unbedingt notwendige« Statussymbole aufdrängten und für ihre Bemühungen gleich tausend Prozent draufschlugen. Der plötzliche Reichtum hatte ganze Familien zerstört und lebenslange Freundschaften kaputtgemacht, wenn die Gier größer war als die Vernunft.
Nach Donovans Ansicht trug die Regierung eine ebenso große Schuld an diesen finanziellen und menschlichen Katastrophen wie die dubiosen Finanzhaie. Seit zwölf Jahren wurde der
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