Die Versuchung
LuAnn gehört?« fragte Donovan.
Billy Harvey machte eine Pause. »Na ja, sie hat Geld geschickt.«
»Geld?«
»An Duanes Eltern. Aber sie haben nicht drum gebeten, das kann ich Ihnen versichern.«
»Haben sie das Geld behalten?«
»Na ja, sie sind nicht mehr jung und arm wie Kirchenmäuse. Und so ’ne Summe ist nicht zu verachten.«
»Welche Summe?«
»Zweihunderttausend Dollar. Wenn das kein Beweis für LuAnns schlechtes Gewissen ist, dann weiß ich es nicht.«
Donovan stieß einen leisen Pfiff aus. »Haben Sie herauszufinden versucht, woher das Geld kam?«
»Damals war ich noch nicht Sheriff. Aber Roy Waymer hat’s versucht. Dabei haben ihm sogar ein paar Jungs vom FBI geholfen, aber sie konnten nicht den kleinsten Hinweis finden. LuAnn hat noch ’n paar anderen Leuten hier unter die Arme gegriffen, aber auch von denen haben wir nie erfahren, wo das Weibsstück sich rumtreibt. Als ob sie ein Gespenst wär’.«
»Sonst noch etwas?«
»Ja. Falls Sie jemals mit ihr reden, dann sagen Sie ihr, daß die Harveys nie was vergessen, auch nach so vielen Jahren nicht. Die Mordanklage steht immer noch. Wenn wir das Flittchen in Georgia zu fassen kriegen, wird sie ziemlich lange im Knast sitzen – zwanzig Jahre bis lebenslänglich. Bei Mord gibt’s keine Verjährung.«
»Ich werde es ihr ausrichten, Sheriff, danke. Ach, könnten Sie mir vielleicht eine Kopie der Ermittlungsakte schicken? Autopsieberichte, gerichtsmedizinische Gutachten, polizeiliche Unterlagen und so weiter.«
»Glauben Sie wirklich, Sie können das Luder nach so langer Zeit finden?«
»Ich mache so etwas seit dreißig Jahren, und ich verstehe mich ziemlich gut darauf. Ich werde es auf alle Fälle versuchen.«
»Gut, dann schicke ich Ihnen die Kopien, Mr. Donovan.«
Donovan gab Harvey die Anschrift und Rufnummer der Tribune, legte auf und machte sich ein paar Notizen. LuAnn Tyler hatte einen anderen Namen, soviel stand fest. Also mußte er als erstes diesen Namen herausfinden.
Die folgende Woche verbrachte Donovan damit, jede Nische im Leben LuAnn Tylers zu erforschen. Er besorgte sich Kopien der Todesanzeigen ihrer Eltern in der Rikersville Gazette. Nachrufe waren stets voller interessanter Fakten: Geburtsorte, Namen von Verwandten und andere Informationen, die möglicherweise zu wertvollen Hinweisen führten. LuAnns Mutter war in Charlottesville, Virginia, geboren. Donovan unterhielt sich mit den noch lebenden Verwandten, die in der Todesanzeige genannt wurden, erfuhr aber wenig Brauchbares. LuAnn hatte nie versucht, Verbindung mit ihnen aufzunehmen.
Als nächstes grub Donovan so viele Fakten wie möglich über den letzten Tag aus, den LuAnn in den Vereinigten Staaten verbracht hatte. Er sprach mit Angehörigen der New Yorker Polizei und der dortigen FBI -Außenstelle. Am Freitag nach der Ziehung war LuAnn als Gewinnerin auf der üblichen Pressekonferenz aufgetreten. Sheriff Waymer hatte sie im Fernsehen gesehen und sofort die Polizei in New York verständigt, daß LuAnn in Georgia im Zusammenhang mit einem Doppelmord und Drogenhandel gesucht wurde. Die New Yorker Polizei hatte daraufhin eine Großfahndung auf allen Eisenbahn- und Busbahnhöfen sowie den Flughäfen eingeleitet – die sinnvollste Maßnahme in einer Stadt mit sieben Millionen Einwohnern, in der Straßensperren schwerlich in Frage kamen. Doch es hatte sich keine Spur von der Frau gefunden.
Das FBI stand vor einem Rätsel. Dem Bericht des Agenten zufolge, mit dem Donovan gesprochen hatte und der mit der Akte vertraut war, hatten FBI und Polizei sich gefragt, wie ihnen diese Frau aus der Provinz, zwanzig Jahre alt, ohne Schulabschluß, mit einem Baby durch die Maschen geschlüpft war. Nach Ansicht des FBI kamen eine geschickte Verkleidung oder falsche Papiere nicht in Frage. Die Polizei hatte ihr Netz eine knappe halbe Stunde nach dem landesweiten Fernsehauftritt LuAnn Tylers ausgeworfen. So schnell war niemand. Aber schon damals hatten einige FBI -Beamte sich die Frage gestellt, ob irgend jemand der Frau geholfen hätte. Doch die Sache verlief bald im Sande, da andere, wichtigere Probleme von nationaler Bedeutung die Zeit und Arbeitskraft der Fahndungsbehörden in Anspruch nahmen.
Offiziell war das FBI zu dem Ergebnis gelangt, daß LuAnn Tyler das Land nicht verlassen hatte, sondern lediglich mit dem Auto oder der U-Bahn aus New York hinausgefahren und dann irgendwo im Land untergetaucht war, vielleicht auch in Kanada. Die New Yorker Polizei hatte Sheriff Waymer von
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