Die Versuchung
zugänglich.
Langsam legte Donovan den Hörer auf und starrte wieder auf die Seite. Herman Rudy, Bobbie Jo Reynolds, LuAnn Tyler … Er ging die Namensliste durch. Zwölf Gewinner in Folge. Und keiner von ihnen war pleite gegangen. Kein einziger. Und nur in den zwölf Monaten in diesem einen Jahr.
Die meisten Journalisten von Thomas Donovans Kaliber zeichneten sich durch zwei besondere Merkmale aus: den richtigen Riecher und Hartnäckigkeit. Und Donovans Nase verriet ihm, daß die Story, auf die er soeben gestoßen war, den ursprünglichen Aufhänger ungefähr so spannend erscheinen ließ wie einen Artikel über die Beschneidung von Obstbäumen.
Donovan mußte sofort einige Quellen durchsehen – zu Hause, wo er mehr Ruhe hatte als in der hektischen und lärmenden Redaktion. Er stopfte den Ordner in seine schäbige Aktentasche und verließ eilig das Büro. Da noch kein Stoßverkehr herrschte, erreichte er nach zwanzig Minuten seine kleine Wohnung in Virginia.
Zweimal geschieden, ohne Kinder, war Donovans Leben einzig und allein auf seine Arbeit ausgerichtet. Die einzige Beziehung zu einer Frau, die er unterhielt, köchelte auf Sparflamme. Alicia Crane war eine Bekanntheit aus der Washingtoner Gesellschaft und stammte aus einer wohlhabenden Familie, die einst über hervorragende politische Verbindungen verfügt hatte. In solchen Kreisen hatte Donovan sich niemals wohl gefühlt. Doch Alicia war hilfsbereit und stand zu ihm, und wenn Donovan ehrlich war, fand er es gar nicht so übel, am Rande ihres Luxuslebens umherzuflattern.
Er setzte sich in sein Arbeitszimmer und griff zum Telefon. Es gab eine sichere Methode, Informationen über Personen zu erhalten, insbesondere über reiche Leute, ganz gleich, wie abgeschottet ihr Leben war. Donovan wählte die Nummer eines langjährigen Informanten bei der Steuerbehörde und gab ihm die zwölf Namen durch.
Zwei Stunden später erhielt er den Rückruf. Während er zuhörte, hakte er die Namen von seiner Liste ab. Er stellte noch einige Fragen, dankte dem Freund, legte auf und blickte auf die Liste.
Hinter allen Namen war nun ein Häkchen, nur hinter einem nicht. Elf Lotteriegewinner hätten jedes Jahr pflichtschuldig ihre Einkommensteuererklärung abgegeben, hatte Donovans Informant erklärt. Doch weiter wollte er nicht gehen; er hatte sich nicht erweichen lassen, Donovan nähere Einzelheiten mitzuteilen. Er fügte nur hinzu, daß bei allen elf Steuererklärungen die Summen riesig gewesen seien. Donovan fragte sich, wie diese elf Gewinner nicht nur den Konkurs abgewendet, sondern während der letzten zehn Jahre ihr Vermögen offenbar vermehrt hatten. Und dabei stieß er auf das größte Rätsel.
Donovan starrte auf den Namen des einzigen Lotteriegewinners, der nicht abgehakt war. Seinem Informanten zufolge hatte diese Person keine Steuererklärung abgegeben, jedenfalls nicht unter ihrem eigenen Namen. Und mehr noch: Diese Person war schlichtweg verschwunden.
Donovan erinnerte sich verschwommen an den Grund dafür. Zwei Morde … ihr Freund und noch ein Mann, in einem Kaff im ländlichen Georgia. Drogen waren im Spiel gewesen. Die Geschichte hatte Donovan vor zehn Jahren nicht übermäßig interessiert. Er hätte sich gar nicht daran erinnert, wäre diese Person nicht damals, unmittelbar nachdem sie hundert Millionen Dollar gewonnen hatte, mitsamt dem Geld verschwunden. Jetzt war Donovans Neugier geweckt, als er den Namen auf seiner Liste anstarrte:
»LuAnn Tyler«.
Auf der Flucht vor einer Mordanklage mußte sie die Identität gewechselt haben. Mit dem Geld aus der Lotterie war es ihr problemlos möglich gewesen, in eine neue Rolle zu schlüpfen und ein neues Leben anzufangen – irgendwo, unter falschem Namen.
Ein Lächeln huschte über Donovans Gesicht. Plötzlich war ihm eine Idee gekommen, wie er LuAnn Tylers neue Identität aufdecken konnte. Und vielleicht noch sehr viel mehr. Zumindest konnte er es versuchen.
Am nächsten Tag rief Donovan den Sheriff in LuAnns Heimatort Rikersville in Georgia an. Roy Waymer war vor fünf Jahren verstorben. Ironischerweise war der jetzige Sheriff, Billy Harvey, Duanes Onkel.
Harvey war äußerst mitteilsam, als Donovan ihn wegen LuAnn befragte.
»Sie hat Duane auf dem Gewissen«, sagte Harvey wütend. »Sie hat ihn in diese Drogengeschichte reingezogen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wir Harveys besitzen zwar nicht viel, aber wir haben unseren Stolz.«
»Haben Sie in den letzten zehn Jahren irgendwas von
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