Die Versuchung
Beziehungen seiner Familie so sehr strapaziert, bis seine Unfähigkeit ihn zu Fall brachte und die Rolltreppe sich nicht mehr nach oben bewegte. Um sie wieder in Fahrt zu bringen – ein vergebliches Unterfangen –, hatte er das Familienvermögen verschleudert. Plötzlich war das Geld futsch.
Jackson, der älteste Sohn, hatte im Laufe der Jahre oft die volle Wucht des väterlichen Zorns zu spüren bekommen. Mit einundzwanzig Jahren hatte er herausgefunden, daß das riesige Treuhandvermögen, das sein Großvater ihm ausgesetzt hatte, vom Vater dermaßen oft widerrechtlich geplündert worden war, daß nichts mehr übrigblieb. Die fortwährenden Beschimpfungen und körperlichen Mißhandlungen durch den Alten – mit denen er den Sohn auch dann noch quälte, nachdem dieser ihn zur Rede gestellt hatte – hatten bei Jackson tiefe Wunden hinterlassen.
Die körperlichen Wunden waren verschwunden. Der psychische Schaden war geblieben. Und Jacksons eigene innere Wut schien mit jedem Jahr um eine Exponentialgröße zu wachsen, als wollte er seinen Vater, den Vorgänger auf diesem Gebiet, mit aller Gewalt übertrumpfen.
Anderen mochte das unwichtig erscheinen, und das verstand Jackson sogar. Das Vermögen verloren? Na und? Wen kümmert das? Jackson kümmerte es. Jahr um Jahr hatte er darauf gewartet, endlich an das Treuhandvermögen heranzukommen, um sich mit Hilfe dieses Geldes endlich von den tyrannischen Schikanen seines Vaters befreien zu können. Als diese lang gehegte Hoffnung ihm plötzlich genommen worden war, hatte der Schock eine tiefe Veränderung in seinem Inneren bewirkt. Der eigene Vater hatte ihm gestohlen, was rechtmäßig ihm gehörte. Er hätte seinen Sohn lieben und nur das Beste für ihn wollen, hätte ihn achten und beschützen müssen. Statt dessen hatte Jackson Junior ein leeres Bankkonto und die haßerfüllten Schläge eines Wahnsinnigen bekommen. Und Jackson hatte es hingenommen. Bis zu einem gewissen Punkt. Dann nicht mehr.
Jacksons Vater war plötzlich und unerwartet gestorben. Jeden Tag töteten Eltern ihre kleinen Kinder, und niemals aus gutem Grund. Im Vergleich dazu töteten Kinder die Eltern eher selten, doch normalerweise stets aus gutem Grund. Jackson lächelte, als er daran zurückdachte. Eines seiner frühen chemischen Experimente, ausgeführt mittels des geliebten Scotch seines Vaters. Das Ergebnis: eine geplatzte Pulsadergeschwulst im Hirn. Wie in jedem Beruf mußte man schließlich irgendwo anfangen.
Wenn Menschen mit durchschnittlicher oder unterdurchschnittlicher Intelligenz Verbrechen wie Mord begehen, tun sie das meist tölpelhaft, ohne Langzeitplanung oder Vorbereitung. Das typische Ergebnis ist eine schnelle Verhaftung und Überführung. Hochintelligente Täter begehen Schwerverbrechen nach sorgfältiger Planung, langer Vorbereitung und vielen Stunden mentaler Gymnastik. Das Ergebnis: Eine Verhaftung war selten, eine Überführung noch seltener.
Jackson, der älteste Sohn, war gezwungen gewesen, in die Welt hinauszuziehen und das Familienvermögen zurückzuverdienen. Ein Begabtenstipendium einer Eliteuniversität, Prädikatsexamen. Dann behutsames Wiederauflebenlassen alter Familienkontakte – denn diese Glut durfte nicht erlöschen, wenn Jacksons langfristiger Plan Erfolg haben sollte.
Im Laufe dieser Jahre hatte er sich intensiv die unterschiedlichsten Fähigkeiten angeeignet, sowohl körperliche wie geistige, die es ihm ermöglichten, seinen Traum von Reichtum und der damit verbundenen Macht zu verwirklichen. Sein Körper war so stark und durchtrainiert wie sein Verstand, und Geist und Körper befanden sich in vollkommenem Gleichgewicht.
Doch Jackson wollte unter allen Umständen vermeiden, in die Fußstapfen seines Vaters zu geraten, und hatte sich daher ein viel ehrgeizigeres Ziel gesetzt: seine Pläne zu verwirklichen und dabei für alle forschenden Blicke unsichtbar zu bleiben. Trotz seiner Liebe zur Schauspielerei sehnte er sich nicht nach dem Scheinwerferlicht, wie damals sein Vater als Politiker. Ihm genügte sein Ein-Mann-Publikum vollauf.
So hatte er sein unsichtbares Imperium errichtet, wenn auch auf durch und durch illegale Weise. Doch ganz gleich, woher die Dollars stammten, am Ende lief es aufs gleiche hinaus. Reisen, wohin es einem gefiel; tun und lassen, was man wollte. Das galt nicht nur für seine Küken.
Bei diesem Gedanken lächelte Jackson und ging weiter durch die Wohnung.
Er hatte einen jüngeren Bruder und eine jüngere Schwester. Der Bruder
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