Die versunkene Welt
gab ihm die Kraft, die er brauchen würde, um die vor ihm liegende Bewährungsproben zu meistern.
Dabei vergaß er in keinem Augenblick, daß der Lohn für die »Bestientöter« auch darin bestehen konnte, daß man sie der Anemona opfern wollte. Dann hieß es, gewappnet zu sein.
Mythor mußte das auf sich zukommen lassen. Sich jetzt schon den Kopf darüber zu zerbrechen, hatte wenig Sinn.
Gerreks klagendes Stöhnen riß ihn aus den Gedanken. Er wandte sich um und sah in ein betretenes Beuteldrachengesicht. Offensichtlich war Gerreks Rausch inzwischen abgeklungen.
»Er verstand mich«, klagte der Mandaler. »Er hatte Sinn für mein Spiel.« Gerrek schüttelte sich. »Wie kann ein solch edles Wesen im… Wasser leben?«
»Spiele noch etwas«, sagte Mythor aus einer plötzlichen Eingebung heraus. »Na, komm schon. Auch mir hat es gefallen.«
Gerrek machte große Augen.
»Du willst mich verhöhnen, Honga!«
Das wollte er gerade nicht, wenngleich er mit Schaudern an eine neuerliche Kostprobe von Gerreks Können dachte. »Aber nein. Spiele!«
Er glaubte zwar nicht daran, doch konnte ein Versuch nichts schaden. Learges noch einmal aus den Tiefen zu locken. Sicher wußte der Tritone einiges zu berichten, das auf dem weiteren Weg von Nutzen sein konnte. Dorgele und Ertach hatten ihn ja nicht zu Wort kommen lassen.
Es war ein Gefühl, das Mythor sagte, in Learges einen Helfer finden zu können.
Gerrek begann, vorsichtig auf der Zauberflöte zu blasen. Als Kalisse sich wütend zu ihm umdrehte, fuhr er sie an:
»Du bist jetzt still! Honga will es hören!«
Und er spielte weiter. Schrecklicher als je zuvor waren die Töne, die er hervorholte. Und je wütender Kalisse und Scida blickten, desto schriller gerieten sie ihm.
Mythor brauchte nicht lange zu warten.
Zwei grüne Hände legten sich auf den Bootsrand. Dann erschien ein Gesicht, von dem nur die glänzend auf Gerrek gerichteten Augen verrieten, daß es Learges gehörte.
Mythor nahm Gerrek die Flöte fort und hielt sie in der Hand. Als Learges ihn bestürzt ansah – wenn er den Ausdruck in seinen Zügen überhaupt als Bestürzung deuten konnte –, schüttelte er heftig den Kopf.
»Er wird weiter für dich spielen, mein Freund«, sagte er laut, »wenn wir uns unterhalten haben, einverstanden?«
*
Learges redete. Er beantwortete jede Frage und stellte selbst einige. Ab und an warf er scheue Blicke zum Bug. Doch kein weiterer Tritone erschien, um ihn zu vertreiben.
Fast schien es so, als fürchtete er nicht nur, von Ertach oder einem anderen Tritonen des Dritten Kreises erwischt und zurechtgewiesen zu werden, sondern als hätte er eine regelrechte Wut auf diese. Und wahrhaftig klang aus seinen Worten heraus, daß er sich als eine Art Rebell verstand, und sogar von der Meermutter und der Anemona sprach er abwertend.
»Wer ist die Meermutter?« fragte Mythor leise, daß Dorgele ihn nicht hörte. »Und wer Anemona?«
»Ich habe sie einmal gesehen«, antwortete Learges leise. »Ein einziges Mal nur, und das war genug. Ich darf nicht darüber reden. Nicht einmal andere Tritonen dürfen davon wissen, daß ich sie sah. Denn sie zu schauen und ihr zu begegnen, ist nur den Hohenpriesterinnen vorbehalten, den Okeara-lör.«
Es war offenkundig, daß Learges nicht nur über sein Erlebnis reden konnte, sondern es auch nicht wollte.
Mythor blickte zum Bug, wo Dorgele und die beiden Amazonen saßen. Er lächelte, als er sah, wie Scida die Priesterin so in ein Gespräch verwickelte, daß sie keine Zeit fand, sich umzudrehen.
Von wem aber hatte Learges gesprochen? Von Anemona? Von der Meermutter? Oder von beiden? Waren es zwei Göttinen oder eine einzige mit zwei Namen?
»Aber du billigst ihre Herrschaft über dein Volk nicht?« wagte Mythor einen weiteren Vorstoß.
Sehnsüchtig blickte Learges auf die Zauberflöte in Mythors Hand.
»Nein«, sagte er. »Ich billige sie nicht. Die Meermutter und die Anemona haben nur Unglück über mein Volk gebracht. Sie verbieten uns, das zu tun, was wir tun wollen.«
»Also gibt es andere, die denken wie du?«
»Viele, aber noch nicht genug. Die meisten gehören wie ich der untersten Kaste an und sind Niedere. Wir vermögen nicht viel auszurichten, geben aber die Hoffnung nicht auf, daß wir eines Tages wieder in Freiheit und Würde werden leben können. Unsere Schar wird wachsen, je strenger und grausamer die Meermutter und die Anemona über uns herrschen.«
»Dann stimmt es, daß ihr Menschenopfer dargebracht werden?«
»Es
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