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Die versunkene Welt

Die versunkene Welt

Titel: Die versunkene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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richtig halten. Ist das verstanden?«
    »Verstanden?« kreischte Gerrek. Zur Bekräftigung spie er eine Flammenlohe in die Luft, daß Dorgele vom heißen Schwall regelrecht zurückgeworfen wurde.
    »Ich glaube«, sagte Kalisse, als die Tempeldienerin sich aufrichtete und davonschlich, »sie hat verstanden.«
    Dorgele rührte sich nicht mehr von der Stelle, bis die Fahrt des Bootes sich verlangsamte. Als Mythor sich noch den Kopf darüber zerbrach, was unter einem »Gehege« zu verstehen sei, drehte die Priesterin sich mit ausdruckslosem Gesicht zu ihnen um.
    »Wir sind in den Gewässern von Pelleas-Verran!« verkündete sie mit lauter Stimme. Sie deutete auf eine Stadt am Ufer von Asingea. »Dies dort ist Pelleas-Anna! Pelleas-Verran liegt tief unter uns! Nur dieser Turm dort ragt noch aus dem Wasser, und das auch nur, bevor die Flut ihren Höhepunkt erreicht! Ihr habt also keine Zeit zu verlieren!«
    »Wir sollen in den Turm hineinsteigen?« fragte Kalisse.
    Er ragte einige hundert Schritte von der Küste entfernt um ein, zwei Körperlängen aus dem Wasser. Wellen schlugen gegen ihn, silbrige Gischt spritzte an ihm in die Höhe. Die vier Tritonen zogen das Fischboot an ihn heran. Dorgeles Begleiterinnen erhoben sich und warfen starke Taue, deren Schlingen sich um eiserne, nach oben gebogene Haken knapp unter der Turmspitze legten.
    Im Querschnitt mochte dieses Gemäuer gute fünf Körperlängen messen, und seine Tiefe war nicht abzuschätzen. Der Turm hob sich nicht mit Ebbe und Flut wie der Tempel, der als Begegnungsstätte diente, sondern war fest im Meeresgrund verankert.
    Dorgeles Helferinnen zogen das Boot bis dicht an ihn heran und vertäuten es. Zwei von ihnen stiegen an eisernen Sprossen bis zur Spitze hinauf und zogen mit vereinten Kräften einen Schachtdeckel in die Höhe.
    Dorgele blickte die Gefährten auffordernd an.
    »Wollt ihr warten, bis er überflutet ist?« fragte sie.
    Mythor zögerte. Er wußte, daß er in den Schacht klettern sollte, und was dort auf ihn wartete. Er hatte Learges’ Warnungen noch allzu gut im Ohr. Noch konnte er zurück.
    Unwillkürlich suchte er die Luft und das Wasser nach Enterseglern ab, von denen der Tritone auch gesprochen hatte. Er sah keine, doch gleichwohl spürte er ihre Nähe, die furchtbare Bedrohung.
    Dann aber hörte er auch schon das Geheul und Gekreische von Yacubs Brut aus der Tiefe des Turmes, und noch etwas, das sich in die grauenerregenden Laute mischte.
    Schreie!
    Schreie von Menschen in höchster Todesangst. Sie kamen ebenfalls aus dem Turm und gingen ihm durch Mark und Bein.
    »Wer ist das?« fuhr er Dorgele an.
    »Menschen, die von den Bestien zerrissen werden, wenn ihr ihnen nicht zu Hilfe kommt!«
    Entsetzt starrte er die Priesterin an. Sah er Sorge um diese Unglücklichen in ihrem Antlitz – oder nur Besessenheit?
    Er konnte die verzweifelten Schreie nicht länger anhören. Scida fluchte. Kalisse machte sich bereit, zur Schachtöffnung emporzuklettern. Selbst Gerrek vergaß alle Furcht und Vorsicht. Mythor zögerte nicht länger. Für den Augenblick waren die Tritonen und ihre undurchschaubaren Absichten vergessen, dachte er nicht mehr an die Anemona und die Meermutter. Dort, tief unten im Turmschacht, kämpften wehrlose Menschen um ihr Leben! Allein dies zählte jetzt für ihn.
    Später würde er Dorgele und die Tritonen zu fragen haben, wie die Menschen in den Turm überhaupt hineingekommen waren, wer sie dorthin verschleppt hatte und zu welchem Zweck.
    Er ahnte es, und es erfüllte ihn mit unbändigem Zorn. Fürwahr, die Zeit des untätigen Wartens war vorbei! Und Learges’ Wort von einem »Gehege« gewann plötzlich eine grausige Bedeutung.
    »Du wartest hier auf uns!« schrie er die Priesterin an, als er mit einem Satz an die Eisensprossen sprang. »Sonst werde ich dich finden, wo immer du dich verstecken magst!«
    Er kletterte geschwind zur Schachtöffnung, starrte einen Herzschlag lang in düstere Tiefe und schwang sich über die Rundmauer. Seine Füße fanden auf weiteren Sprossen Halt. Mit der Linken klammerte er sich, schnell abwärtssteigend, fest, während Alton in seiner Rechten leuchtete.
    Als Kalisse, Scida und Gerrek im Turm waren, schlug über ihren Häuptern der Schachtdeckel schwer zu.
    Sie waren allein, und unter ihnen heulte, kreischte und schrie es.
    Ein Zurück gab es nun nicht mehr. Sie waren gefangen und sahen und hörten nicht mehr, wie sich draußen riesige Entersegler aus den Fluten erhoben und ein mörderisches Ringen

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