Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
Getrenntwerden ließ eine schreckliche Leere in mir entstehen, eine Leere, die sich anfühlte wie das Echo des Nichts. Keine Bestimmung, kein Anker. Ich blickte mich um und sah in den Gesichtern der Männer nur Zorn und Verachtung. Der Tod verlachte meine Bestürzung. Ich stolperte aus dem Raum und suchte Trost in der Kapelle.
Princess Joan riet mir, abzureisen, auf einem meiner Landgüter Zuflucht zu nehmen und mich auszuruhen. Sie selbst zitterte bei der Vorstellung, dass ihr zehnjähriger Sohn nun gekrönt werden sollte.
Vor meiner Abreise war indes noch so viel zu erledigen. Wie betäubt lief ich einige Tage im Palast umher, unterwies die Dienerschaft und erklärte, wo sich Edwards persönliche Sachen befanden. Ich konnte ihn einfach nicht verlassen, konnte mein Leben mit ihm noch nicht beenden. Ich erfüllte Versprechen, die ich Edward gegeben hatte, indem ich etwa alle Zeichen seiner Krankheit beseitigte und seinen Ärzten Geschenke zukommen ließ.
Später hörte ich von Gerüchten, ich hätte all seine Ringe an mich genommen und wäre mit ihnen aus dem Palast geflüchtet. Niemand trat meine Verteidigung an und stellte klar, dass ich noch mehrere Tage in Sheen geblieben war. Niemand.
Anfang Juli würde Edward in einer feierlichen Prozession nach Westminster gebracht werden. Ich sollte nicht Teil der Trauergesellschaft sein. Aber ich würde auch nicht in der Menschenmenge stehen, die von nah und fern herbeiströmte, alle Wege säumte und sich die Hälse verrenkte, um einen
Blick auf seinen Leichenwagen zu erhaschen, der mit einem roten Sargtuch behangen war, auf dem seine Waffen lagen.
Wie ich hörte, wurde für seine Grabfigur ausgerechnet seine Totenmaske verwandt, die seine abgesackte rechte Gesichtshälfte jedem sichtbar machte. Edward hätte es sicherlich verabscheut, dass seine Gebrechen so entblößt wurden.
Robert kam, um mich nach Gaynes zu begleiten. Offenbar hatte Richard Lyons auf Sturys Bitte hin nach ihm gesucht und ihn nach Sheen gebracht. Zum Zeitpunkt seiner Ankunft konnte ich es kaum erwarten, den Palast zu verlassen. Ich fühlte mich innerlich völlig ausgelaugt, und in den Räumen, Fluren und Parkanlagen war von Edward nicht das Geringste mehr zu spüren. Womöglich lag es ja daran, dass niemand den Gerüchten, ich wäre von Edwards Totenbett aus sofort geflohen, widersprochen hatte, jedenfalls war ich für alle – abgesehen von der Dienerschaft – mit seinem Tod umgehend Luft geworden. Alle um ihn herum, die Familie, sein Gefolge, der Hofstaat verfielen in betriebsame Geschäftigkeit und sahen über mich hinweg. Ich hatte meine Rolle zu Ende gespielt und ausgedient. So wich ich zurück und drückte mich an die Wände, wenn Familienangehörige, Höflinge und Amtsträger an mir vorbeieilten, und hielt mich bevorzugt im Dunkel der Kapelle auf. Während Gwen und einige Diener meine Habseligkeiten packten, nahm ich Abschied von dem Schlafgemach, in dem Edward und ich so viele mit Liebe erfüllte Tage und Nächte, ganz hingegeben unserem lustvollen Entzücken am anderen, verbracht hatten. Ich fragte mich, ob ich jemals wiederkehren würde.
Dieser Raum war mit Geschenken von Edward ausgeschmückt worden und voller kostbarer Erinnerungen. Ein Kissen duftete noch nach ihm, auf einem anderen waren noch seine Bluttropfen zu sehen, als er mir eigenhändig einen
Rosenstrauß geschnitten und vergessen hatte, die Dornen zu entfernen. Hier war die Kerbe von dem Weinbecher, der mir heruntergefallen war, als Edward mich in die Arme genommen und hochgehoben hatte. Von überall stürzten die Erinnerungen an unsere Liebe auf mich ein. Ich sank auf die Knie, drückte das Kissen mit seinem Duft an mich und weinte.
Ich fand keinen Schlaf mehr im Palast. Sobald Robert eine Barke für mich aufgetrieben hatte, flüchtete ich. Als ich Sheen zum letzten Mal verließ, hatte ich das Gefühl, aller Vergangenheit und aller Bestimmung beraubt worden zu sein und nun nackt und verstört einer ungewissen Zukunft entgegenzugehen. Ich hatte Edward von ganzem Herzen und mit jeder Faser meines Körpers geliebt.
VIERTES BUCH
EIN PHÖNIX
IV-1
»Wenn alle Schlüssel am Gürtel einer einzigen Frau hängen, dann ist das weder geziemend noch ungefährlich.«
Bischof Thomas Brinton über Alice Perrers in einer Predigt vom 18. Mai 1376 in Westminster Abbey
Nackt und verstört. Ich hatte mich selbst verloren. Ich drehte mich weiter im Tanz, drehte mich und drehte mich, nahm, vom Schwindel gepackt, nur
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