Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
wirklich schon zwanzig Jahr her? Ich sah es noch so klar vor mir, fühlte es so deutlich, als wären seitdem erst ein paar Wochen vergangen. Ich nahm meinen eigenen Rosenkranz hervor und senkte den Kopf.
Dies war nicht der Zeitpunkt, Janyns zu gedenken. Heute sollten meine Erinnerungen allein Edward gelten. Edward, der König, der mich geliebt hatte. Edward, der Mann, der meiner Lust Befriedigung und mir wundervolle Kinder geschenkt hatte. Edward, der Freund, der sich an meinen Werken und Erfolgen erfreut hatte. Edward, mein Gefährte beim Reiten und Jagen, mein Gegner beim Schach, der verängstigte, kranke alte Mann, der wenig fürchtete, sobald er meine Hand hielt. Er hatte mich reich beschenkt, und er hatte mich ausgesaugt, immer und immer wieder.
Dort, in der Kirche von Barking, betete ich darum, von Edward erlöst zu werden, von dem Bann, in dem er mich gehalten hatte, erlöst zu werden von dem Tanz. Ich betete um ein Wiedererwachen, darum, meine Gedanken wieder meiner Familie, meinen Freunden, meinem eigenen Lebensziel zuwenden zu können. Um eine Arbeit, die ich jetzt womöglich ohne Rücksichtnahme genießen konnte. In wenigen Momenten würde ich Bellas Stimme hören. Schon bald würde ich mit Joan und Jane zusammen sein, mit meiner Schwester Mary, meinem Bruder John und deren Kindern und mit meinen Freunden. Robert und Gwen würden mich dorthin begleiten. Ich könnte in den Gärten von Gaynes spazieren gehen und arbeiten, mich wieder mit meinen Falken und Pferden vertraut machen. Ich rief mir dies alles in Erinnerung, die stete Fortdauer des Lebens, die Möglichkeit des Glücks.
Das Rascheln von Seide. Die Äbtissin von Barking war von adligem Geblüt und eine elegante Erscheinung. Sie ergriff
meine Hand, schloss sie in ihre warmen Handflächen und wartete, bis ich ihr in die Augen sah.
»Ich hatte Euch zuerst gar nicht erkannt in Eurer Witwenkleidung, Dame Alice.«
»Mir wurde nicht gestattet, sie zu tragen, als mein Gemahl vor Jahren starb, Hochehrwürdige Mutter Äbtissin. Jetzt steht es mir frei, offen um ihn und den König zu trauern.«
Sie drückte ihre Hände zusammen und verneigte sich andeutungsweise. »Der Friede Gottes sei nun mit Euch, Dame Alice.«
»Möge Gott mich schützen und leiten.«
»Eure Tochter meinte, Ihr könntet in dieser Zeit des Trauerns ihres Beistands und ihrer Fürbitten bedürfen. Wäre es Euch wohlgefällig, wenn sie für zwei Wochen bei Euch wohnte?«
Bei diesen Worten durchströmte eine plötzliche Wärme meinen Körper, die Verheißung eines baldigen Endes jener eisigen Kälte, die mich erfüllte. »Ich könnte mir nichts Hilfreicheres vorstellen.« Ich verbeugte mich, um der Äbtissin die Hand zu küssen.
Als Bella mich sah, schrie sie beim Anblick meiner Trauerkleidung vor Schreck laut auf.
»Für Vater?«, fragte sie.
»Für Janyn, ja, und für Edward.«
»Beides treffliche Männer«, sagte sie.
Wir unterhielten uns eine Weile im Empfangsraum der Äbtissin und tauschten Erinnerungen aus. Ich warnte sie, dass Probleme drohten, zumindest ein Prozess.
»Ich fürchte, du wirst ganz schreckliche Sachen über mich zu hören bekommen. Und ich habe Angst vor dem Ausgang. « Ich beschrieb ihr die verschiedenen Möglichkeiten – Beschlagnahme meiner Besitzungen, womöglich sogar Inhaftierung oder Exil.
Sie schloss mich in die Arme und versicherte mir, dass ihre Liebe für mich unerschütterlich sei.
Am nächsten Morgen reisten wir gemeinsam nach Gaynes weiter, Bella, Gwen, Robert und ich. Zu unserer Begrüßung kamen dort Joan, Jane, Mary und deren Kinder aus der Halle gerannt. Liebevoll nahmen sie mich in ihre Mitte, und ich gab mich ganz der Freude der Heimkehr hin.
An diesem ersten Abend zu Hause sank ich völlig erschöpft ins Bett und fiel sofort wie betäubt in einen herrlich traumlosen Schlaf. Im fahlen Licht des anbrechenden Tags stellte ich eine Statue der Heiligen Jungfrau und eine Reliquie, die einen Tropfen ihrer Milch enthielt, auf ein niedriges Tischchen in der Ecke meiner Kammer, kniete mich auf ein Kissen und begann ein Nachtgebet. Eine Woche lang betete ich, während Erinnerungen auf mich einstürmten, Tränen mich reinigten, Erschöpfung meine Seele läuterte. Im Verlauf des ersten Tags kam Bella dazu und blieb als eine wohltuende Stütze an meiner Seite, bis ich schließlich einen Tag und eine Nacht durchschlief.
Am darauffolgenden Morgen half Gwen mir dabei, eines meiner schlichten ländlichen Gewänder anzuziehen. Sie summte, während
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