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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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hatte zu ihnen gesagt: »Bleiben Sie nicht zu lange. Er ist viel schwächer, als er meint.« Sie sprachen nicht darüber, wie Pete mit halber Nase aussehen würde. Grace redete über die Legebatterie. Sie erzählte, daß sie die ersten Großaufträge von Raststätten für Lastwagenfahrer erhielten. Sie frage sich nun, ob sie ein zweites Hühnerhaus errichten sollten.
    Walter sagte nicht viel. Er ließ den Kopf mit dem Stiernacken hängen. Das einzige, was er berichtete, war, daß er seinen Song, mit dem er sich so lange abgemüht hatte, fertig habe.
    »Gut«, lobte Pete. »Singst du ihn uns vor, um uns ein wenig aufzumuntern?«
    »Nein, nicht jetzt.«
    »Er würde uns nicht aufmuntern«, sagte Grace. »Walter hat ihn mir vorgetragen. Er ist recht morbid.«
    »Ja?« fragte Pete. »Morbid, Walt?«
    »Eigentlich nicht«, entgegnete Walter, »jedenfalls nicht, wenn man ihn versteht.«
    »Du meinst also, ich verstehe ihn nicht?« fragte Grace.
    »Ja«, antwortete Walter.
    Schließlich gingen sie wieder. Pete winkte ihnen noch vom Bett aus nach, doch keiner von beiden schaute zurück.
    Während Pete im Krankenhaus lag, fuhr Walter nach London. Er nahm den ersten Zug. Zu Grace sagte er, Gilbert Blakey habe ihn eingeladen, um ihm die Kronjuwelen zu zeigen. Er wußte, daß sie die Kronjuwelen beeindrucken würden. Es war Mittwoch, der Tag, an dem der Laden mittags geschlossen wurde.
    Walter machte eine Stadtrundfahrt mit dem Bus. Er saß auf dem oberen Deck, im Freien, und es nieselte. Er erhielt einen kleinen Stadtplan, auf dem die Fahrtroute eingezeichnet war, und stellte fest, daß es die King’s Road hinuntergehen würde, in deren Nähe, wie er wußte, Gilbert war. Ein Teil von ihm betete darum, Gilbert zu sehen, der andere, ihn nicht zu sehen. Er wußte nicht, welches Gebet das ehrlichere war.
    Er fuhr nach London, weil er einmal eine Ortsveränderung brauchte. Er mußte sich ins Gedächtnis zurückrufen, daß es noch eine Welt außerhalb von Swaithey gab. Swaithey brachte ihn allmählich um. Er wußte, daß er sich, wenn er dort bliebe, weiter im Laden arbeitete und bei seiner Mutter wohnte, eines Tages mit einem Filetiermesser ins Herz stechen würde. Er wußte das schon eine ganze Weile. Er hatte versucht, mit Liederschreiben über den Verlust Gilberts hinwegzukommen, doch das hatte nicht ausgereicht. Er war inzwischen einunddreißig. Wenn es ihm jetzt nicht gelang, ein neues Ziel für sein Leben zu finden, dann mußte er es beenden. Er wählte London wegen der dunklen Farben, die es in seiner Erinnerung hatte – Rot und Schwarz.
    Außer Walter war auf dem obersten Deck noch eine Gruppe Kanadierinnen mit Regenhüten, die von allem begeistert waren. »Nein so was!« riefen sie. »Seht doch nur!«
    Als der Bus die Whitehall hinunterfuhr, kam Walter zu dem Schluß, daß London hauptsächlich wegen seiner Solidität so wenig vertraut, so fremd war. Wenn sich in Swaithey der Oktobernebel übers Dorf legte und die oberen Ränder der Hecken mit dem Himmel verschmolzen, konnte mansich gut vorstellen, daß der ganze Ort in der Finsternis verschwand und nie wieder auftauchte. London hingegen schien für die Ewigkeit gebaut zu sein. Es warf quadratische Schatten, schwarz und groß. Es schien der Nabel der Welt zu sein.
    Walter fing ein Gespräch mit den Kanadierinnen an. Sie erzählten ihm, daß sie aus Medicine Hat, Alberta, kämen. Medicine Hat habe keinen Turm und keine Abtei, aber eine gute Schule und eine Schlittschuhbahn. Sie stellten sich vor: Mavis, Jane, Cecelia Ann, Beth, Nettie und April. »Das ist unsere erste Reise. Wir wollten sie nicht mehr länger hinausschieben.«
    »Es ist auch meine erste Reise«, sagte Walter. »Ich habe aber vor, eine Weile hier zu leben.«
    » Wirklich? « fragten sie. Sie hatten die Angewohnheit, immer alles gleichzeitig in einer Art Chor zu sagen. Walter dachte, daß sie vielleicht, als sie noch klein waren, ein Begleitchor gewesen wären.
    »Was machen Sie denn auf dem Land?« fragten sie.
    Walter grinste. »Country-music.«
    »Nein so was, wie interessant!« Das war Nettie, diesmal allein. »Ich wußte nicht, daß es in England Country-music gibt.«
    »Sie ist auch selten.«
    »Sie sollten nicht nach London gehen«, sagte Nettie, »sondern nach Nashville, Tennessee. Dort lebt ein Cousin von mir, der ein Mädchen aus den Südstaaten geheiratet hat. Sie haben eine Apotheke. Ich könnte Ihnen ihre Adresse geben.«
    Der Bus fuhr die Knightsbridge hinunter, am Mary-Quant-Laden und an

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