Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
darüber. Es war nicht mehr schockierend. Es hieß: »Das arme Kind hatte vielleicht Nerven!«
Als Grace weg war, holte Walter seine Gitarre und nahm Pete gegenüber Platz. Bevor er zu singen anfing, sagte er: »Ich muß dir etwas mitteilen. Eines Tages werde ich von hier fortgehen. Ich weiß, daß ich damit Generationen von Loomis enttäusche, kann das aber nicht ändern. Ich werde gehen, und damit basta. Das steht fest. Ich möchte leben, bevor es zu spät ist.«
Pete nickte. Sein Blick wanderte über das ordentliche Vorderzimmer mit seinen Chintzvorhängen und glänzenden Holzmöbeln. »Ich könnte hier auch nicht leben. Es ist schon allerhand von dir, daß du so lange geblieben bist.«
»Ich bin einunddreißig.«
»Gewiß«, meinte Pete. »Einunddreißig. Sing jetzt!«
Walter stimmte seine Gitarre. Er sagte zu Pete, daß der Song »Was anderes« heiße. »Ich schrieb ihn, als ich erkannte, daß ich vieles trotz meines Alters nicht verstehe.«
»Dein Alter ist nichts. Fang jetzt an!«
Walter räusperte sich. Er war stolz auf sein Lied. Er stellte sich vor, wie künftige Fans alt wurden und sich daran erinnerten und sagten: »Toll, ein alter Walter Loomis!« Das Lied war schwermütig in b-Moll.
Ich versuchte die Erde zu begreifen,
Grub tief und wühlte, war ihr ganz nah,
Ließ die Gedanken zum Anfang schweifen,
Doch beim Erwachen war’s Rätsel noch da.
Ich versuchte den Himmel zu erfassen,
Vom Regenbogen blickt ich hinauf,
Verwirrung wollt nicht von mir lassen,
Und das Geheimnis hörte nicht auf.
Chor:
Immer ist was anderes noch verborgen
Tief drinnen in dem, was man erspäht.
Ein großes Rätsel ist die Welt,
Und ich spüre, daß sie nie
Mir das Geheimnis ihrer Rätsel verrät.
Ich versuchte die Liebe zu versteh’n,
Ging zu ihr und bat sie: Sag es mir!
Sie meinte: Verlang nichts, laß mich geh’n,
Rühr mich nicht an – das sag ich dir!
Ich versuchte, mein Leben zu durchschau’n,
Still und einsam in meiner Not,
Versucht es in Bildern aufzubau’n,
Doch was ich malte, war der Tod.
Chor:
Immer ist was anderes noch verborgen
Tief drinnen in dem, was man erspäht.
Ein großes Rätsel ist die Welt,
Und ich spüre, daß sie nie
Mir das Geheimnis ihrer Rätsel verrät.
Und ich spüre, daß sie nie
Mir das Geheimnis ihrer Rätsel verrät.
Pete war von Walters Lied bewegt. Er trank einen Schluck Whisky, dann sagte er: »Meinem alten Freund, dem Pastor in Memphis, wären bestimmt die Tränen gekommen, wenn er das gehört hätte.«
Walter zuckte mit den Schultern. »Das Problem ist«, erwiderte er, »daß meine Lieder nicht das geringste ändern.«
12. Kapitel
1968
Revolution und Offenbarung
Cord schrieb einen Brief ans Verkehrsministerium. Der Brief sollte einhundertneunundachtzig Unterschriften enthalten und den Minister darüber informieren, »daß er die Rechnung ohne die Bürger von Gresham Tears gemacht habe«.
Man hatte ihnen mitgeteilt, daß eine neue Fernstraße durch die sumpfigen Wiesen, auf die die Dorfbewohner schon seit vierhundertzweiunddreißig Jahren blickten, gebaut werden solle. Die Schmiede und die Katzenzucht von Gresham würden dann der Geschichte angehören, und die Luft würde von einem unaufhörlichen Tosen erfüllt sein.
Der Kampf gegen die geplante Straße hatte Cord von seiner Lähmung kuriert. Sie war verschwunden. Dafür war Rhetorik gekommen. Er gründete die »Bürgerinitiative Straßengegner von Gresham Tears«, deren Slogan lautete: LASST GRESHAM IN RUHE, TROCKNET UNSERE TRÄNEN. Er sagte zu den versammelten Dorfbewohnern: »Sie denken, wir zählen nicht. Wir müssen sie vom Gegenteil überzeugen. Es kann sich als notwendig erweisen, daß wir uns vor eine Teermaschine legen. Auch eine Nachtwache oder einen langen Protestmarsch möchte ich nicht ausschließen. Ich jedenfalls bin zu allen Opfern bereit!« Die Leute sahen ihn alarmiert an und erklärten, sie glaubten nicht, daß es soweit kommen würde. »Wir sind in England«, sagten sie, »nicht in Ungarn, Thomas.« Cord meinte, daß die Kampagne gegen die Straße einen wunderbaren Impuls durch die Ereignisse in Paris im Mai erhielt. Er saß auf seiner Yogamatte und sprach leise mit seiner nun schon viele Jahre toten Livia: »Dies wird ein Jahrzehnt des Protests, und ich wünschte, du könntest es miterleben. Wir haben wieder Hoffnung. Ich wünschte, du könntest das sehen. Die Besitzlosen und all jene, deren Besitz bedroht ist (wir hier in Gresham), verschaffen sich jetzt Gehör. Wir
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