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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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er denn hingegangen?«
    »Weg von zu Hause. Zu irgendeiner Kirchenschule in Sussex. Ich weiß nicht, wie deine Mutter damit fertig wird.«
    Mary sah Irene fassungslos an. Sie war entsetzt bei dem Gedanken, daß Estelle jetzt mit Sonny allein war.
    »Du siehst«, fuhr Irene fort, »daß sie jetzt niemanden im Haus hat. Sonny ist kaum mal da. Spricht mit dem elenden Hund, aber nicht mehr mit Menschen. Und ich fürchte, daß er sie wieder ins...«
    »Sie hat zu Cord immer gesagt, daß sie im Mountview glücklich ist«, unterbrach Mary sie schnell.
    »Nun, du warst ja einmal dort und hast gesehen, wie es ist.«
    »Ja.«
    »Du weißt es also. Es ist kein Ort, wo man sein halbes Leben verbringen kann.«
    »Es hat keinen Zweck, jetzt mit mir darüber zu sprechen«, sagte Mary. »Laß uns später mal darüber reden. Ich weiß nicht, wann. Vielleicht in ein paar Jahren. Jedenfalls später. Wenn ich etwas tun kann.«
    Die Überraschung in Irenes Hähnchen erwies sich als Knoblauchbutter. Sie sagte, daß sie das nie erraten hätte und daß der Tag voll von Dingen sei, die sie sich nie hätte träumen lassen.
    Mary bat: »Erzähl mir von Pearl und Billy.« Sie wollte nicht mehr über Estelle sprechen.
    Zum erstenmal lächelte Irene. »Pearl hat einen Freund, der Clive heißt. Er ist an Bäumen interessiert. Ich habe schon zu Pearl gesagt: Täubchen, wenn du ihn heiratest, wirst du noch in einem Baumhaus enden. Sie fand das aber nicht lustig und sah mich nur schweigend an. Und Billy – niemand weiß, was er einmal tun oder sein wird. Er sagt, er will Forscher werden.Ich meinte: Da gibt es aber nicht mehr viele, Bill. Darauf er: Nein, aber doch noch ein paar. Und ich fragte ihn, was er denn erforschen wolle. Er sagte: die Welt. Wie willst du denn reisen, fragte ich. In einer Rikscha, antwortete er, auf einem Kamel, einem Dampfschiff oder in einem Kanu, ganz gleich, wie. Auf einem Elefanten. Als er Elefant sagte, kreischte Edward vor Lachen. Er konnte sich gar nicht wieder fassen. Und ich habe mich darüber gefreut. Lachen hält jung. Meine ich jedenfalls.«
    Am Nachmittag gingen sie zur Victoria Station und sahen sich Zeichentrickfilme an. Es schien alles gesagt zu sein. Es war leichter, im Dunkeln zu sitzen und sich tanzende Schweine und Mäuse voller menschlicher Schläue anzusehen.
    Als sie das Kino verließen, um mit dem Bus der Linie 11 zur Liverpool Street zu fahren, sagte Irene: »Mir gefällt es, wenn sie in einen Kreis ›Das war’s, ihr lieben Leute!‹ schreiben. Das ist doch netter als ›Ende‹, nicht wahr?«
Mary:
    Mit Miss McRaes tausend Pfund war es für mich viel leichter, mich wie ein Mann zu benehmen.
    Ich kaufte mir einen Anzug und eine moderne breite Krawatte, ließ mir die Schuhe putzen und verteilte Trinkgelder. Ich ging in Bars, bestellte Drinks für junge Frauen und legte ihnen manchmal die Hand auf ihre seidigen Beine oder berührte ihre Brüste.
    Sie rechneten damit, daß ich sie mit nach Hause nehmen würde, doch das war nur in meiner Vorstellung möglich. Mein Körper mußte den Blicken verborgen, im Anzug bleiben.
    Ich erzählte Sterns, wie gern ich mit diesen Frauen schlafen würde. Er sagte: »Ja, das ist nur natürlich. Aber seien Sie nicht voreilig. Sie haben noch einen weiten Weg vor sich.«
    Ich dachte: Vielleicht ist es mit meinem Leben ja wie mit meinem alten Tennisball, den ich im hohen Bogen geworfenund dann einzuholen versucht hatte – immer vor mir, nie in meiner Hand.
    Wenigstens wurde ich manchmal mit »Sir« angeredet. Von Barmännern, Kellnern und Verkäufern. Mir gefiel das. Ich saß dann lächelnd an der Bar. Doch nie wieder hatte ich dieses dumme Glücksgefühl wie am Serpentine Lake, als mich der Bootsverleiher »Junge« genannt hatte. Das Unerwartete hat etwas an sich, das uns bewegt. Als müßten wir für unsere ganze Existenz irgendwie zahlen, nur für diesen einen Augenblick nicht, der ein Geschenk ist.
    Etwas Unerwartetes erlebte ich im Dezember.
    Ich war an der U-Bahn-Station Tottenham Court Road, als ich den Song Galveston durch die Gänge schallen hörte.
    Seit ich Besitzer eines Anzugs bin, gebe ich den U-BahnSängern immer etwas Geld. Ich sehe in ihnen Menschen, die wie ich ihr Leben nicht richtig im Griff haben, denn in der Untergrundbahn zu singen konnte ja wohl nicht ihr Lebensziel sein.
    Manchmal sieht man, wie sie von der Polizei aufgefordert werden, weiterzuziehen. Sie schauen dann verwirrt aus, als wüßten sie nicht, wohin sie gehen sollten. Pearl hatte beim

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