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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Verzehr ihres Gyrosberges zu mir gesagt: »Das Leben erfordert einen Plan, Mary.« Ich denke oft darüber nach – über das einzige bißchen Weisheit, das Pearl in den zwanzig Jahren ihrer Existenz von sich gegeben hat. Fest steht, daß die Straßenmusikanten nie einen Lebensplan gehabt haben, und wenn doch, dann ist er wohl vom Wind in der Untergrundbahn davongetragen worden.
    Der Galveston -Sänger war als Cowboy gekleidet. Neben ihm auf dem Boden lag ein Cowboyhut mit ein paar Pennies darin. Ich holte gerade ein Sechs-Pence-Stück heraus, um es ihm hinzuwerfen, als ich ihn erkannte: Es war Walter Loomis.
    Ich stand ein Stückchen von ihm entfernt, starrte ihn an und hörte zu. Ich fand, daß er eine wunderschöne Stimme hatte.
    Er muß sich, dachte ich, im Laden einen Tag freigenommen haben und schon im Morgengrauen losgefahren sein, um hier in der Central Line Galveston zu singen. Die Leute aus Swaithey tun schon die ungewöhnlichsten Dinge.
    Als er sein Lied zu Ende gesungen hatte, ging ich zu ihm hin und sagte: »Du wirst mich sicher nicht erkennen, Walter, aber unter all dem, was du siehst, bin ich Mary Ward.«
    Er hat einen schweren, hängenden Kopf, der ausschaut, als würde er eines Tages herunterfallen und fortrollen.
    Er blickte mich verwirrt an, als hätte ich ihm befohlen, weiterzuziehen.
    »Wirklich«, sagte ich. »Ich bin Mary Ward. Was machst du denn in London, Walter?«
    »Ich singe«, antwortete er nach einer Weile. »Versuche mich mit Singen über Wasser zu halten. Du hast recht, ich hätte dich nicht erkannt.«
    Ich ließ ihn seine Adresse hinten auf das Exemplar der Liberty schreiben, das ich bei mir hatte. Der Leitartikel war über Lyndon Johnsons langsamen Tod an gebrochenem Herzen auf seiner Ranch in Texas. Walter sagte: »Es ist eine schreckliche Adresse. Direkt unter dem Battersea-Kraftwerk. Ich ziehe aber bald fort.«
    »Wohin denn?«
    »Nach Amerika. Nashville. Dort will ich dann bis an mein Lebensende bleiben.«
    Ich besuchte ihn einmal spät in der Nacht, als die Untergrundbahn geschlossen war.
    Ich ging über die Battersea Bridge. Es war sehr windig, und am orangefarbenen Londoner Himmel wirbelten welke Blätter und Papierfetzen herum.
    Er wohnte im Tiefgeschoß eines kleinen Hauses, das inmitten einer Reihe anderer kleiner Häuser stand, die alle zerfielen. Über dieser Häuserzeile befand sich das Kraftwerk und verdeckte Mond und Sterne. Er hatte, bevor er zum Öffnen an die Tür gegangen war, auf einem harten Stuhl gesessenund Gitarre gespielt. Im Zimmer gab es nur diesen einen Stuhl, dann noch ein Bett ohne Decken und einen Musikautomaten. Walter sagte: »Er funktioniert. Er spielt zwei Lieder: Only You und You’ve Lost that Lovin’ Feeling .«
    Ich setzte mich aufs Bett. Es roch im Zimmer nach unsauberer Kleidung. Walter erzählte mir, daß er auch eine Küche habe. Diesmal trug ich nicht meinen Anzug, sondern Jeans und Lederjacke. Walter sagte, so erkenne er mich schon eher. Er war noch immer als Cowboy angezogen. Seine Stiefel hatten Metallbeschläge, und sein Hut hing am Türhaken. Er berichtete, daß es eine Country-und-Western-Gesellschaft gebe, die sich einmal in der Woche in einer Kneipe in der Latchmere Road treffe und von der er seine Sachen habe. »Sie sind in Tennessee hergestellt worden. Es ist die Originalkleidung.«
    Er bot mir Whisky an. Ich habe versucht, diesem Geschmack abzugewinnen, doch ohne Erfolg. Da Walter aber nichts anderes hatte, nahm ich einen an. Als er mir das Glas reichte, sagte er: »Außer Pete weiß niemand auf der Welt, wo ich bin.«
    Es war recht kühl im Zimmer. Walter meinte, das mache ihm nichts aus. Er sei dabei, sich daran zu gewöhnen. In Tennessee falle die Temperatur im Winter bis auf minus siebzehn Grad, und die Bäume sähen dann aus, als wären sie aus Glas.
    Als ich fragte: »Woher willst du denn das Geld für die Reise nehmen, Walter?«, sah er verwirrt aus.
    Dann verriet er mir: »Pete schickt mir Dollars, sooft er welche findet. Er hat sie vor Jahren im Bus versteckt und weiß jetzt nicht mehr, wo. Doch von Zeit zu Zeit tauchen welche auf. Ich hoffe, daß sie noch gültig sind. Manchmal entdeckt er gleich zwanzig.«
    Er schien sich nicht allzusehr für meine Person zu interessieren. Er war völlig mit sich selbst beschäftigt, damit, wie er in London überleben und nach Nashville gelangen konnte. Ich fragte ihn, ob er dort irgend jemanden kenne.
    Er antwortete: »Das ist nicht nötig. Ich habe das in denMemoiren eines Grand Ole

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