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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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nicht.«
    In einem Glas auf dem Büfett waren Papierservietten. Mary holte eine und reichte sie Irene, die sich damit die Nase putzte. »Es ist nicht so, daß ich kein Vertrauen zu dir gehabt hätte«, sagte Mary. »Ich hatte nur Angst, daß du schockiert sein würdest, das ist alles.«
    »Nun, es ist ja auch schockierend. Es ist nicht das Übliche, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Mir tut es aber weh, daß du dachtest, ich würde zu schockiert sein, um dich noch lieben zu können. Du hast nicht darauf vertraut, daß ich dich weiter gern haben würde, nicht wahr?«
    »Ich weiß es nicht, Irene.«
    »Aber ich. Du dachtest, jemand wie ich könne damit nicht klarkommen.«
    »Hoffentlich kannst du mir verzeihen.«
    »Ich kann fast alles verzeihen, meine Liebe. Das weißt du doch.«
    Es war kalt an diesem Morgen, doch Irene wollte die Wachablösung der königlichen Garde sehen. Sie sagte, das würde sie aufmuntern. Sie sei vor langer Zeit, noch bevor sie den Drucker aus Dublin kennengelernt habe, einmal dorthin mitgenommen worden, und danach habe sie davon geträumt, einen scharlachroten Soldaten zu heiraten.
    Sie waren zu früh da, standen in der Kälte herum und hielten sich am Palastzaun fest. Irene hatte eine rote Nase vom Weinen und von der rauhen Oktoberluft. Mary bemerkte, daß sie älter aussah als bei ihrer letzten Begegnung. Sie war aber immer noch recht hübsch, als wäre sie auf dem Höhepunkt ihres Lebens.
    »Wie geht es Billy?« fragte Mary.
    »Er ist jetzt bei den Pfadfindern und kann mit einem Vergrößerungsglas ein Feuer anzünden.«
    Sie lachten. Überall um sie herum waren Franzosen, die einander lebhaft auf alles aufmerksam machten. »Tu vois le drapeau? Tu vois les deux factionnaires? Ah, le soleil, tu vois?« Sie hatten recht. Die Sonne kam heraus und schien auf die Wachen, so daß die Schwerter und Schnallen glänzten. Mary fiel ein, daß Cord einmal gesagt hatte: »Den Engländern liegt der Drill verdammt gut. Er ist in uns, wie das Tanzen in den Afrikanern. Niemand weiß, warum, aber es ist so.«
    Doch Irene war von der Zeremonie enttäuscht. Sie dachte, sie würde länger dauern. In ihrer Erinnerung hatte es mehr Wachen, mehr Salutieren und mehr Marschieren im Gleichschritt gegeben. Sie sagte: »Vermutlich dauert in der Erinnerung alles länger.«
    Irene wollte Marys Zimmer sehen. Als sie dann in dem lichtlosen Raum stand, schaute sie sich Marys Zeichnungenan den Wänden an und meinte: »Du bist begabt im Hubschraubermalen, meine Liebe.«
    Der Lichtschacht gefiel ihr nicht. »Ich würde mich immer fragen, was da unten ist.«
    Mary wollte eigentlich einen Nescafé machen, um sich ein wenig für Irenes Gastfreundschaft während all der Tage und Nächte, die sie in ihrem Häuschen, und all der Stunden, die sie in Edwards Haus verbracht hatte, zu revanchieren. Doch sie merkte, daß sie sich fürchtete. Sie stellte sich vor, daß Irene den Zucker in ihrem Kaffeebecher umrührte und fragte: Was soll ich Estelle sagen, Mary? Wenn diese Frage unbedingt gestellt werden mußte, dann war es ihr lieber, wenn es woanders war. Daher meinte sie: »Nach dem langen Herumstehen in der Kälte hast du jetzt sicher Hunger, nicht wahr, Irene?«
    »Du kennst mich doch, Kleines. Oder soll ich nun lieber nicht mehr Kleines sagen?«
    »Das ist alles nicht so wichtig. Wichtig ist nur, daß du hier bist.«
    »Ich weiß aber wirklich nicht, wie ich dich anreden soll. Doch nicht mehr mit Mary, oder?«
    »Ich nenne mich jetzt Martin.«
    »Es nennt dich jetzt niemand mehr Mary, nicht wahr?«
    »Doch, Pearl hat mich so genannt, als sie hier war.«
    »Aber sie wird es mit der Zeit auch lernen müssen, stimmt’s?«
    Mary zog ihre Tweedjacke an. »Ich sagte ja bereits, Irene, daß es darauf nicht ankommt.«
    »Mir kommt es schon darauf an.«
    »Laß uns gehen! Ich habe einen Riesenhunger. Wir können beim Spaghettiessen über alles reden.«
    Von dem italienischen Restaurant war Irene sehr beeindruckt. Ihr gefielen die strohummantelten Flaschen, die von der Decke hingen, und der Gipsheilige an der Wand. Sie sagte, all dies hätte sie sich nicht träumen lassen.
    Sie bestellte Hähnchen Surprise, wobei die Füllung die Überraschung sein sollte. Sie wollte nicht näher nachfragen,um sich nicht den Spaß zu verderben. Mary sah, daß sie anfing, den Tag zu genießen.
    Sie aßen eine Minestrone und dicke weiße Brötchen dazu. Nach einer Weile sagte Irene: »Timmy ist fortgegangen. Ich vermute, das weißt du noch nicht?«
    »Nein. Wo ist

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