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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ich mich, daß gewöhnlich, wenn jemand fiel, durch glückliche Umstände auch jemand da war, der ihn barg.
    Im Laufe der Zeit ließ der Schmerz nach.
    Und über den Käfigrändern tauchten zwei Gesichter auf, das eine sommersprossig, das andere gebräunt.
    »Mart«, sagte Rob. »Wie geht es dir, he?«
    »Mart«, sagte Tony. »Wir haben dir von Safeway eine Wassermelone mitgebracht.«
    Und ich erwiderte: »Ich weiß nicht, ob ich sprechen kann.«
    Sosehr ich mich freute, sie zu sehen, konnte ich sie doch nicht lange anschauen. Ich versuchte, mich dafür zu entschuldigen, daß sie mir entglitten.
    Als ich später aufwachte, war es, mit Ausnahme von einem kleinen violetten Licht irgendwo, stockdunkel im Zimmer. Der wieder einsetzende Schmerz hatte mich geweckt.
    Mir fiel ein, daß ich früher im Schmerz einen Verbündetengesehen hatte. Ich hatte geglaubt, ich würde ganz von selbst ein Mann werden, wenn ich nur genügend litte.
    Es war derart heiß in dem Käfig, daß ich versuchte, ihn wegzuschieben, doch das Heben meines Armes ging so schwer, als wollte ich damit Berge versetzen, und der Schmerz wallte erneut auf. Ich ließ den Arm wieder sinken und rief, doch niemand hörte mich.
    Mary würde jetzt weinen, dachte ich, doch das werde ich nicht tun. Ich werde warten.
    Während des Wartens hatte ich einen Traum. Ich träumte von dem verlassenen Hausboot, das ich auf dem Fluß in der Nähe von Twickenham gesehen hatte, und von den Entenfamilien in ihren mit Draht abgegrenzten Becken. Das Boot löste sich aus seiner Verankerung und wurde von der Strömung mitgerissen. Die Fahne hob sich im Wind und flatterte. Die Teiche wurden mitgezogen, doch da die Enten nicht schnell genug schwimmen konnten, würden sie vom Draht erdrosselt und unters Wasser gedrückt werden. Bei dieser Vorstellung schrie ich laut auf.
    Eine Schwester kam herein und fragte: »Ist alles in Ordnung, Martin?«
    »Nein«, sagte ich. »Nein.«
    Als ich das nächstemal aufwachte, war es hell, und ich hatte fast keine Schmerzen.
    Schwestern haben so kühle, wunderbare Arme. Sie legen einem die Hände unter die Schultern und heben einen mit Leichtigkeit hoch, als wiege man überhaupt nichts. Sie setzen einen auf den Topf und waschen einem das Gesicht. Und all das tun sie lächelnd. Ich erzähle ihnen: »Meine beste Freundin Pearl wird Zahnarzthelferin.«
    Sie sagen: »Hier haben Sie eine Tasse Tee, mein Lieber. Trinken Sie ihn langsam.«
    Ich würde gern den Rest meines Lebens in den kühlen, weichen Armen einer Schwester verbringen.
    Als Rob und Tony mich wieder besuchten, saß ich im Bett. Sie brachten mir ein Exemplar des New Statesman und eine Tüte Kirschen mit.
    Ich fragte: »Wie viele Tage bin ich eigentlich schon hier?«
    »Viertausendzweihundertsechsunddreißig. Wir haben das Jahr 1984«, antwortete Tony.
    »Drei, Mart«, sagte Rob. »Das ist deine Auferstehung, Mann.«
    Sie saßen da und lächelten mich an. In nur wenigen Wochen würde unsere dreiköpfige Familie auseinandergehen. Tony wollte heiraten und nach Sydney zurückkehren. Er sollte eine Stelle beim Sydney Morning Herald bekommen. Sein Pferdeschwanz gehörte der Vergangenheit an. Rob sagte, er und ich würden die Fahne der Liberty hochhalten, doch ich fragte mich, wie lange wir das schaffen würden, wenn Tony nicht mehr da war. Georgia hatte mir einmal ins Gesicht geschrien, daß niemand auf dieser Welt unersetzlich sei, doch ich wußte, daß dieses, wie so vieles andere, das sie gesagt hatte, nicht stimmte.
    Tonys zukünftige Frau hatte wilde Korkenzieherlocken und hieß Bella. Rob und ich hatten versucht, sie zu mögen, doch als wir merkten, daß sie uns Tony wegnehmen würde, stellten wir das ein und fingen zu schmollen an. Bellas Vater war der Herausgeber des Sydney Morning Herald . Wir haben beiden, dem Vater und der Tochter, nie verziehen. Ich hatte deswegen Schuldgefühle, Rob jedoch nicht. Er sagte: »In Südafrika wird niemals irgend etwas verziehen. Und so ist es immer schon gewesen.«
    Ich hatte Hunger und fing also an, die Kirschen zu essen. Die Kerne legte ich in einem Haufen auf den Nachttisch.
    Tony sagte: »Erzähl uns etwas darüber, Mart! Ist es besser ohne Brüste?«
    »Ja, es wird besser sein«, antwortete ich.
    »Was meinst du mit ›wird besser sein‹?« fragte Tony. »Was ist mit jetzt?«
    »Jetzt«, sagte ich, »ist überhaupt nichts. Es ist nur Schmerz,dann kein Schmerz, dann wieder Schmerz und so fort. Aber bald...«
    Tony seufzte. »Bei dir ist immer alles

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