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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Kunstdünger gab. Tausend Jahre lang war er auf der Seite der Bauern gewesen, doch jetzt ergriff er Partei für den Ruin...
    »Ich habe zu ihm gesagt«, flüsterte Estelle Timmy zu, »verkauf alles, dann haben wir Ruhe.«
    Sonny hatte es gehört. Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Eine seiner Starkbierflaschen fiel um. »Ich kann es nicht verkaufen, es gehört mir nicht!« brüllte er. »Das alles gehört Timmy. Wie oft muß ich das denn noch wiederholen?«
    »Verkauf das Land«, sagte Tim ruhig. »Verkauf es, und rette das Haus. Ihr wärt dann beide glücklicher, und ich auch.«
    » Nein! « schrie Sonny. »Nein, nein, und nochmals nein! « Er erhob die Faust gegen Timmy. »Du kleiner Scheißheiliger!« brüllte er. »Was ist denn los mit dir? Warum kommst du nach Hause und nennst mich einen Lügner?
    »Das habe ich doch gar nicht getan!«
    »Doch. Du hast gesagt, daß es nicht dein Land ist.«
    »Es ist auch nicht meins...«
    »Doch, es ist dein Land! Jede Furche, jeder Stein! Alles gehört dir. Und wenn du mich wieder im Stich läßt, sollst du es fressen! Dann lasse ich dich die ganze Scheißerde fressen!«
    »Sonny«, fuhr Estelle dazwischen, »du weißt nicht, was du sagst.«
    »Ich weiß nicht, was ich sage? Das ist gut! Find ich prima, daß das ausgerechnet von dir kommt. Nicht wahr, Tim? Das ist doch grandios. Meinst du nicht auch, kleiner Priester?«
    Timmy stand auf und entschuldigte sich.
    Er lief nach oben. Der Hund erwachte und bellte. Sonny und Estelle hörten, wie sich Timmy im Bad übergab.
    Mit einer einzigen Handbewegung fegte Sonny alle Teller, das Besteck und die Gläser vom Tisch. Als alles auf dem gefliesten Boden zerbrach, spürte er plötzlich ein heftiges Glücksgefühl. Er schwankte zur Hintertür und in die Nacht hinaus. Estelle schlug die von den Strickjackenärmeln bedeckten Hände vors Gesicht.
    Am nächsten Morgen, schon recht spät, ging Sonny wie ein Büßer zu Timmys Zimmer. Seine Hände zitterten. Er dachte: Ich bin zu allem bereit, solange er nur hierbleibt. Ich falle sogar auf die Knie, wenn er das von mir verlangt.
    Timmy war nicht in seinem Zimmer. Er war in Swaithey in der Kirche, saß in einer der vorderen Bänke und blickte zum Fenster des Sämanns hinauf, durch das die Sonne fiel. Er versuchte, durch das Aufsagen eines hebräischen Gebets innerlich zur Ruhe zu kommen. Trotz seines Entsetzens zeigte sein Gesicht nur tiefe Konzentration.
    Er bekam nicht mit, wie die Kirchentür aufging. Zu seiner großen Überraschung hörte er plötzlich, wie jemand seinen Namen sagte. Als er den Blick vom Fenster abwandte, sah er Pearl Simmonds mit einer Gießkanne neben sich stehen.
    Sie lächelte ihn an. Sie war braun gebrannt und trug ein verblichenes blaues Kleid. Er empfand eine unbeschreibliche Freude und Erleichterung, als er sie sah.
    Er nannte ihren Namen.
    »Tim«, sagte sie lächelnd, »du schaust ganz anders aus. Älter.«
    »Ich bin auch älter geworden«, erwiderte er. »Und du siehst wunderschön aus, Pearl.«
    Er stand auf, legte die Arme um sie und küßte sie auf die Wange. Und beim Duft ihres Haares mußte er an ein Feld voller Mohnblumen denken, wie er es aus der Kindheit – seiner und Marys – in Erinnerung hatte. Pearl war eine der wenigen Besonderheiten gewesen. Und er hatte sie bis jetzt nie richtig gesehen.
    Pearl stellte die Gießkanne hin. Sie nahm Timmys Hand in ihre, hielt sie fest und blickte darauf. Sie dachte: Er hat noch nie schön geschrieben.
    Und sie lächelte.
Mary:
    Zwanzigeinhalb Jahre nach den beiden Schweigeminuten ging ich ins Krankenhaus.
    Neben meinen Brustwarzen wurden drei Einschnitte gemacht, die ein Dreieck bildeten, und aus ihnen wurde alles mir noch verbliebene Brustgewebe herausgeholt. Man nannte diese Operation eine bilaterale Mastektomie. Die Schnitte wurden genäht, und da war sie nun, meine Brust: hübsch und flach, mit einem weißen Verband drum herum.
    Der Chirurg war recht umgänglich und hatte freundliche Augen. Vor der Operation hatte er zu mir gesagt: »Mit der Zeit wird man die Narben kaum noch sehen, doch es wird ein paar Monate dauern, bis die Wunden verheilt sind.«
    Ich lag im Bett, mit einem Drahtkäfig über meinem Rumpf, der verhindern sollte, daß die Bettdecke drückte. Ich spürte zunächst nichts in diesem Käfig außer einem siedendheißen Schmerz. Ich dachte, ich wäre aus meinem Fenster in den Lichtschacht gefallen und zerschmettert. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, wer mich gerettet hatte, doch erinnerte

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