Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

verwurzelt zu sein, Livia nicht, Estelle nicht und ich nicht. Unseren Genen nach sind wir wesenlos. Das ist es, wogegen Mary ständig angekämpft hat. Sie bemühte sich, nicht auch den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie kämpfte mit der Luft.
    Als das Semester zu Ende war, kehrte er nach Swaithey zurück.
    Sonny holte ihn vom Bahnhof ab und sagte: »Da bist du ja«, ganz so, als habe er ihn in der Scheune gesucht und dann woanders gefunden.
    Tim fragte: »Wie geht es dir?«
    »Man lebt«, entgegnete Sonny. »Wenn man das Leben nennen kann.«
    Der Hund war im Wagen und jaulte. Als Timmy einstieg, fing er zu bellen an.
    »Sei still, Wolf«, befahl Sonny. Da der Hund jedoch weiterbellte, sagte er zu Timmy: »Du bist ein Fremder, deswegen.«
    Sie fuhren die elf Kilometer bis Swaithey fast schweigend. Der Hund beruhigte sich und legte sich wieder hin. Schließlich fragte Tim: »Wie geht es denn so mit dem Hof?«
    Sonnys Antwort ließ eine ganze Weile auf sich warten. Schließlich sagte er: »Auf dem Haus liegt eine Hypothek.«
    Timmy blickte zum schlammbespritzten Fenster des Lieferwagens hinaus. Es war ein dunkler Tag mit tiefhängenden Wolken. Auch die Heckenreihen sahen düster aus.
    »Ich helfe dir mit der Ernte.«
    »Es gibt keine Ernte. Nur Zuckerrüben.«
    »Wieso?«
    »Kein Mähdrescher. Nichts hält ewig. Nichts. Auch das verdammte Empire hielt nicht ewig.«
    Sonny lachte, und sein Lachen ging in Husten über. Er fuhr jetzt langsamer. Der Hund stand auf und drehte sich geduckt um sich selbst.
    Timmy dachte: Es muß etwas gesagt werden, etwas, was die kommenden Wochen erträglich macht. Ich werde nie ein guter Priester, wenn es mir nicht einmal gelingt, meinen eigenen Vater zu trösten.
    Doch was zu sagen war, blieb im dunkeln. Er wußte nicht einmal, wie er anfangen sollte. Es hätte sich genausogut um einen lateinischen Text handeln können. Und nun war es auch zu spät, sie waren am Hof angekommen.
    Estelle stand in der offenen Eingangstür. Sie trug ein Sommerkleid und eine graue Strickjacke, und als der Lieferwagen anhielt, zog sie die Jacke eng um sich, als müßte sie ihre Brüste und Seiten schützen.
    Timmy stieg aus und umarmte sie. Ihre Wange fühlte sich kalt an, oder seine Lippen waren zu heiß, eins von beiden.
    »Auf dem Haus liegt eine Hypothek. Hat dir Sonny das schon gesagt?« fragte sie.
    »Ja.«
    »Es war nicht unser Fehler. So etwas kommt einfach vor.«
    »Ich weiß.«
    »Doch dein Zimmer ist noch da. Das ist noch da.«
    »Ja.«
    »Deine ganzen Schwimmtrophäen. Alles.«
    »Dann will ich mal meinen Koffer nach oben bringen.«
    Sonny fuhr den Wagen weg. Timmy hätte nicht sagen können, wohin.
    Er brachte den Koffer die Treppe hinauf, und Estelle folgte ihm und ging mit ihm in sein Zimmer. In diesem war alles noch so, wie er es verlassen hatte – dessen war er sich ganz sicher –, und doch sah es nicht wie sein Zimmer aus, sondern wie eine Nachbildung, eine Kulisse, die aufgebaut war, um ihn zu täuschen. Es hatte keinen Geruch an sich, ihm fehlte der Geruch nach Vergangenheit.
    »Siehst du?« fragte Estelle.
    Er packte seine Sachen aus und legte die Bibel und das Gebetbuch auf den Nachttisch.
    Estelle lehnte in ihrer Strickjacke an der Wand und beobachtete ihn. Dann ging sie zu ihm hinüber, zog eine Hand aus ihrer Jacke und streichelte seine Wange.
    Er lächelte sie an. Er hätte weder sagen können, wie das Lächeln auf sie wirkte, noch, was es bedeutete.
    Beim Abendessen trank Sonny und redete. Nachdem er lange Zeit nur mit dem Hund gesprochen hatte, schien er nun mit der ganzen Welt zu reden.
    Eines seiner Felder hatte er an Grace Loomis verkauft. Sie hatte darauf zwei weitere Hühnerfabriken errichtet. Neuntausend Eier gingen dort jede Woche raus. Alle steril.
    Niemand holte den Mähdrescher ab. Die Schrotthändler waren zu faul, um zu kommen und ihn auseinanderzunehmen. So stand er nach wie vor, mit Säcken zugedeckt, an seinem alten Platz in der Scheune – Vögel hatten sich eingenistet – und rostete dahin.
    Cord hätte sie davor bewahren können, das Haus mit einer Hypothek zu belasten. Er hätte sein Haus in Gresham Tears verkaufen und auf den Hof ziehen können, doch er hatte sich geweigert, das zu tun. Die Alten waren ja so selbstsüchtig. Sie überlegten nur ständig, wie sie Zeit einsparen konnten, mit der sie dann nichts anzufangen wußten.
    Englands Boden wandte sich gegen die Bauern. Er war soverbraucht, daß er nur noch etwas hervorbrachte, wenn man ihm teuren