Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Augenblick wartete.
Mary:
Ich ging wieder zu Sterns. Er trauerte um seinen Axolotl, der unerwartet gestorben war. Dieser hatte Ken geheißen. Sterns sagte: »Wir sollten Tieren keine Namen geben. Es ist der Name, der uns das Herz bricht.«
Ich erzählte ihm von meinem Perlhuhn Marguerite, das in einem Sack fortgebracht worden war. Er meinte: »Sie hätten vielleicht die Anschaffung eines neuen ins Auge fassen können; auch jetzt könnten Sie das noch.« Und er fügte hinzu: »Wassermolche sind sehr angenehme Hausgenossen.«
Ich war dankbar für die Dunkelheit und das Seufzen der Aquarien. Eine Weile saß ich schweigend da. Meine Wunden schmerzten, und mein Kopf war voller trüber Gedanken.
»Nun, Sie haben mir etwas zu sagen. Worum handelt es sich denn?«
»Ich möchte sterben.«
Sterns stand auf und lief mit abgewandtem Gesicht durchs Zimmer. Dann setzte er sich wieder hin. »Fahren Sie fort!«
Mehr wollte ich nicht sagen. Ich wollte nichts weiter als dasitzen und mich nicht rühren.
Sterns wartete. Er kann sich so absolut ruhig verhalten, daß man nicht einmal sein Atmen wahrnimmt. In dieser Hinsicht ist er wie Ken.
Ich schloß die Augen und dachte daran, wie die Schwerhörigkeit meines Vaters von meinem Weinen geheilt worden war. Laut sagte ich: »Mein ganzes Leben ist absurd.«
Sterns hört dergleichen ständig. Es ist sein Beruf, sich all das Absurde anzuhören. Er ist so daran gewöhnt, daß er nicht einmal entsetzt aussieht. Er beobachtet einfach seine Fische, ihr Farbenspiel und graziöses Schwimmen, und nickt.
Sterns brachte mich zum Sprechen, indem er aufstand und aus dem Zimmer ging, mich also allein ließ. Kaum war er weg, da fühlte ich mich einsam und verlassen. Es war so, als wäre ich in einer Höhle, weit weg von allen Menschen. Ich stellte mir vor, wie Sterns das Haus verließ und sich die Ladbroke Grove hinunter entfernte. Ich wollte ihm nachrufen, doch das Gefühl, in einer Höhle zu sein, war so stark, daß ich wußte, daß es zwecklos war, weil er mich nicht hören würde.
Er hatte mich aber nicht verlassen. Er war nur zur Toilette gegangen. Als er zurückkam, setzte er sich ans andere Ende des Zimmers und putzte sich mit aprikosenfarbenem Toilettenpapier die Nase. Er fragte: »Und warum wollen Sie sterben?«
Ich erzählte ihm von Pearl.
Ich berichtete, was geschehen war. »Ich wußte, daß sie ein Geheimnis hatte, aber nicht, worum es sich handelte. Das Geheimnis war Timmy. Mein Bruder. Schon als Kind hat er mir alles weggenommen. Einfach alles. Außer Pearl.«
Ich erzählte ihm von meinen Gefühlen für Pearl, mein kostbares Ding. Ich erzählte ihm von meinen Bemühungen, sie vor dem Ertrinken zu bewahren. Ich erzählte ihm, daß ich schon immer einfach alles an ihr geliebt hatte, sogar ihr Schnarchen und ihr Ziel, Zahnarzthelferin zu werden. Ich sagte: »In der Zukunft, die ich mir vorstellte, war sie dabei. Als Martin wollte ich sie richtig lieben und vor anderen Männern beschützen. Und sie würde meine Liebe erwidern. So hatte ich es immer schon geplant.«
»Und jetzt?« fragte Sterns.
»Es gibt kein Jetzt. Ich werde sie nicht wiedersehen. Auch ihre Familie nicht, die sehr gut zu mir war. Niemals. Ich kann sie niemals wiedersehen oder mir auch nur wünschen, sie wiederzusehen. Nie und nimmer. Denn sie hat sich mit Timmy verlobt. Das war ihr Geheimnis. Timmy will Geistlicher werden. Er wird sich irgendwo als Vikar niederlassen, mit Pearl als seiner Frau. Sie wird nicht einmal mehr Zahnarzthelferin werden. Ihr Leben ist verpfuscht.«
Nun, da ich einmal zu sprechen angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören. So vieles fiel mir wieder ein: Montgolfier und das Universum, die Flughähne am Korallenriff, die Definition von Durchleuchtung.
Ich erkannte, daß dies die Glanzpunkte meines Lebens gewesen waren. Mein Leben war gewissermaßen das Zimmer, in dem wir jetzt saßen, und die Ereignisse mit Pearl die Aquarien, die den leeren Raum ausleuchteten. »Wenn ich es so sehe, dann ist das, was ich getan habe, eigentlich gar nicht so verwunderlich.«
Als ich Sterns verließ, fiel es mir schrecklich schwer, im hellen Tageslicht zu laufen, so weh tat es mir. Ich gehe irgendwohin, wo schon das Licht ausreicht, um mich zu töten, dachte ich.
Es war März. Der Frühling lag bereits in der Luft. Manchmal kam man um eine Ecke und wurde plötzlich von einem Hauch von etwas Schönem, Glutvollem getroffen.
Ich ging zum Serpentine Lake. Dort traf ich ebenjenen Bootsmann an, der mich
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