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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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und verbrannt war, überlegten sich die Frauen andere Aufgaben für ihn. Er hackte Holz, reparierte Zäune und räumte den alten Plastikramsch aus den Garagen. Die Frauen brachten ihm Kaffee und Ananaskuchen. Manche hatten den ganzen Tag über Lockenwickler im Haar. Einige waren sogar noch älter als der Plunder, den sie angesammelt hatten, aber trotzdem voller geballter Energie: die Füße in Gummiüberschuhen, die knotigen Finger zur Faust geballt.
    Im Dezember schneite es nachts manchmal, ein leichter Pulverschnee. Dann war es am Morgen so hell und der Himmel von einem so strahlenden Blau, daß Walters Augen, die sich immer noch nicht an das Licht gewöhnt hatten, zu tränen anfingen. An solchen Tagen konnte er sich Swaithey kaum noch vorstellen. Es war so, als habe sich winterlicher Nebel darüber gelegt. Doch ab und zu, wenn er Wände von Kletterpflanzen befreite, lecke Schläuche flickte oder still im Schnee stand und süßen Kaffee trank, tauchte sein Vater Ernie vor seinem geistigen Auge auf. Er trug dann seinen weißen Fleischermantel und seinen flotten Hut und strahlte übers ganze Gesicht.
    Er erzählte dies Pete im ersten Luftpostbrief seines Lebens: »Gelegentlich sehe ich Dad vor mir. Er schaut sehr glücklich aus. So, wie er ausgeschaut hat, als ich ein kleiner Junge war.« Arthur Loomis’ Geist ließ sich nicht mehr blicken.
    Zu Walters Traum, ein Sänger zu werden, meinte Audrey: »Wir können das schon verstehen, Walter. Aber vergessen Sie nicht, daß ein Traum den Tod bringen kann. Ich denke da an die Goldgräber von 1849. Es täte uns leid, wenn Sie sterben würden.«
    Bill C. sprach nicht vom Tod. Er erwähnte eine Frau namens Fay May. Er sagte: »Hören Sie, Walt, ich kenne Fay May. Ich habe ihr Dach für einen Spottpreis, fast nur für freie Mittagessen, repariert. Gehen Sie einmal zu ihr, und sagen Sie ihr, daß Sie ein Freund von mir sind. Bleiben Sie eine Weile dort, und wenn Sie gut zuhören, sich unterhalten und aufpassen, wird sich etwas ergeben. Sie weist niemanden ab.«
    Fay May hatte eine kleine, schmutzige Bar mit Tischdecken aus Wachstuch und Sägemehl auf dem Fußboden. In Neonschrift stand über der Tür: Fay May’s Lounge . An den Wänden hingen Tausende signierter Fotografien von Grand Ole Opry Stars; die Hälfte davon war schon tot. Es hing auch ein Plakat da, das für Hank Williams’ letztes Konzert warb, jenes, das er dann nicht mehr erlebte. Es stand darauf, daß er kommen und für seine Fans singen würde, »wenn es dem lieben Gott gefällt und mir das Wasser nicht bis zum Halse steht«.An einer Tafel über der Bar war eine Liste von zehn verschiedenen Biersorten. Darüber hing eine verschlissene Südstaatenfahne. Es roch nach verschüttetem Bier und Zigarren. Fay May stand selbst hinter der Bar und lächelte.
    Sie hatte kräftige Arme und gefärbtes braunes, hochgestecktes Haar. Walter nahm an, daß sie vielleicht so alt wie Grace war, doch während Grace aufmerksam beobachtete, wie sie älter wurde, sah diese Frau so aus, als kümmere sie sich überhaupt nicht um das Dahineilen der Zeit. Walter nahm auf einem Barhocker Platz. Er kannte keines der zehn angebotenen Biere und wählte aufs Geratewohl eins aus. Fay May öffnete ihm eine Flasche und stellte sie mit einem schweren Glas vor ihn hin.
    »Bitte, Sir«, sagte sie. »Willkommen in Fay May’s Lounge!«
    Walter wollte Bill C. Pike nicht gleich erwähnen. Sein Blick wanderte durch die Bar. Es war halb drei Uhr nachmittags. Er sah ein paar rauchende und kauende Männer, die eine Flasche Jack Daniels kreisen ließen. Sie sprachen sehr langsam.
    Einer von ihnen hatte ein gepunktetes Tuch auf dem Kopf wie ein Pirat, die anderen waren wie Cowboys gekleidet. Sie waren alle nicht mehr in der Blüte ihrer Jahre und hatten so traurige Augen, als wären sie es nie gewesen.
    Der Mann, der Walter am nächsten saß und jünger als die anderen zu sein schien, wandte sich ihm zu, musterte ihn und fragte: »Tourist, he? Kanadier?«
    Walter schüttelte den Kopf. Er trug weder die Lederjacke mit den Fransen noch seinen Texashut, sondern eine Arbeitsjacke aus Schottenstoff mit Schaffellfutter, die Bill C. gehörte.
    »Aus Alaska?« forschte der Mann weiter. »Ich war mal in Alaska. Bin dort fast gestorben.«
    »Engländer«, sagte Walter.
    Der Mann verzog sein Gesicht zu einem frostigen Lächeln, das festzufrieren schien. Er schüttelte den Kopf.
    »England! Wollen Sie damit sagen, daß es England noch gibt? «
    »Ja«, erwiderte

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