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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Walter. »Das gibt es noch.«
    Der Mann schlug sich auf seinen dünnen Schenkel. »Donnerwetter noch mal!« rief er.
    Walter wußte nicht, was er sagen sollte. Er hätte ihm zwar ganz gern erzählt, daß er England – oder das Stückchen davon, dem er sich wirklich zugehörig fühlte, nämlich Swaithey – auch aus den Augen verloren hatte, sagte schließlich aber nichts. Er zuckte nur mit den Schultern und lächelte.
    »Noch ein Bier?« bot der Mann an.
    Walter schmeckte das Bier nicht, doch er erinnerte sich, daß einer der Latchmere-Leute ihm geraten hatte: »Nehmen Sie Gastfreundschaft an, wann immer sie Ihnen zuteil wird. Die Leute aus dem Süden sind sehr freigebig. Es ist eine Art Zeitvertreib für sie. Wir machen einen Tee, sie machen Freunde. Es sei denn, man ist ein Schwarzer.«
    »Okay«, sagte Walter also, »vielen Dank.«
    »Übrigens, ich wollte nicht respektlos sein. Ich lache leicht. Jeder kleine Scheißdreck bringt mich zum Lachen. So bin ich nun mal.«
    »Es ist gut, so zu sein.«
    »Weiß ich nicht. Doch jetzt will ich mich mal vorstellen: Bentwater Bliss. 1920 in Illinois geboren. Genannt nach meiner Heimatstadt Bentwater. Noch am Leben, jedenfalls so einigermaßen. Noch zahlungsfähig. Und noch am Singen!«
    Bentwater streckte die Hand aus, in der er vorher die JackDaniels-Flasche gehalten hatte, und Walter schüttelte sie.
    »Ich heiße Walter«, sagte er. »Walter Loomis. Und ich hoffe...«
    »Willkommen in Nashville, Walter. Und was sind Sie von Beruf?«
    Walter räusperte sich. »Ich war Fleischer.«
    »Fleischer? Was für ein Zufall! Es gibt nichts, was ich übers Fleisch nicht weiß. Habe zwischen meinem zwölften und zweiunddreißigsten Lebensjahr im Schlachthof gearbeitet. Hieß damals Bentwater LeQuaide, und als ich nach Nashville kam, habe ich meinen Namen geändert. Ich wählte ›Bliss‹, was soviel wie Glückseligkeit bedeutet, weil ich die verspürte,als ich hier bei Fay saß und jemand zu singen anfing. Im Ernst. Von dem Tag an war ich dauernd im Zustand der Glückseligkeit.«
    Er lachte das Lachen, das seit der Erwähnung Englands ständig in ihm aufstieg. Als er sich wieder gefangen hatte, rief er Fay May zu sich und bestellte für Walter ein Bier. »Das ist Walter aus England, Fay. War im Fleischerhandwerk wie ich früher mal. Kümmere dich um ihn, während ich singe, okay?«
    »Okay, Bent.« Sie lächelte Walter an und schüttelte ihm die Hand. »Willkommen«, sagte sie noch einmal.
    »Vielen Dank!«
    Sie zwinkerte Bentwater zu, der vom Barhocker herunterkletterte. »Wenn Sie nicht wollen, brauchen Sie sich Bents Gesang nicht anzuhören. Wenn er singt, klingt das so, als ob sich jemand die Seele aus dem Leib schreien würde.«
    »Kannst du mir dann vielleicht mal sagen, wieso ich davon leben kann?« fragte Bentwater.
    »Das weiß der Himmel!« erwiderte Fay May. »Vielleicht weil die Zuhörer ein so weiches Herz haben!«
    Am Fenster von Fay Mays Bar stand ein Stuhl mit einem Mikrophon davor. Walter war das schon aufgefallen. Bentwater holte sich eine Gitarre und nahm dort Platz. Er hüstelte und stimmte die Gitarre. Die Gespräche und das Lachen verebbten, als wäre der Ton leiser gestellt worden. Die Zecher an der Bar ließen sich ihre Gläser füllen und blieben dann still sitzen. Walter sah auf dem kleinen Tisch neben Bentwaters Stuhl ein Bonbonglas, das zur Hälfte mit Dollarnoten gefüllt war. Vor dem Glas stand ein Schild mit den Worten: DIE SÄNGER SINGEN FÜR KLEINE GABEN. VIELEN DANK.
    Bentwater hatte einen langen, spitzen Fingernagel, den er als Plektron benutzte.
    »Er zupft gut, da kann man sagen, was man will«, meinte Fay May.
    Er hatte eine hohe, nasale Stimme und begann mit einem Stück der Louvin Brothers: If Only I Could Win Your Love . Hinter ihm und dem Fenster bekam das Nachmittagslicht allmählich einen bläulichen Schimmer. Darin stellte er ein Lied vor, das er selbst geschrieben hatte. Es war eine alte, traurige Weise über das arme Landvolk, ein Lied von der Art, die immer Tränen in Pete Loomis’ Augen getrieben hatte. Es wurde still im Raum. Bentwater sang weiter:

    Fragst du nach meiner Hoffnung, meinem Geschick;
    Sie liegen unter mir im Binsen-Fluß,
    Über mir den blauen Himmel im Blick...
    Walter ging nach Hause und erzählte Audrey und Bill C. von seiner Begegnung mit Bentwater Bliss. Audrey und Bill C. saßen wie immer abends vor dem Ofen, in dem Holz verbrannt wurde, und spielten Binokel.
    »Ach je!« stöhnte Audrey. »Sag’s ihm, Bill

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