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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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denke«, fuhr er fort, »daß es jetzt an der Zeit ist, dich daran zu erinnern, daß es in deiner Generation nur dich gibt, daß du der einzige Loomis bist.«
    Walter versuchte den Kopf zu drehen, um Arthur zu sehen, doch es kam ihm so vor, als halte sein Vorfahr den Griff des Eispickels und nagle ihn damit fest.
    Es war ihm sehr heiß in seinem Schlaf, der ganz von den Worten von Rose Marie ausgefüllt war. »No matter how Itry, I can’t forget you/Sometimes I wish that I had never met you!« Diese Worte waren die schmale Brücke zum Leben in der Zukunft, und alles andere – seine Mutter, der Hof, die Blutrinne, die Tiere und der Himmel – gehörte der toten Vergangenheit an. Als er aufwachte, dachte er, daß er versuchen würde, Arthur zu erklären, daß all das vorbei war, doch er stellte fest, daß dieser, dessen Stimme Ernie so oft als »nett und freundlich, nett und langsam« beschrieben hatte, jetzt recht entschieden mit ihm sprach und nicht unterbrochen werden konnte.
    »... bekannt im ganzen östlichen Suffolk, Junge. Lieferanten feiner Fleischerwaren für die besten Häuser. Ein Familienunternehmen. Und der Name Loomis darauf. Auf dem Schaufenster in goldenen und blauen Buchstaben. Ebenfalls in Gold und Blau auf der Markise. Auf den Rechnungen. Im Bewußtsein der Gastgeberinnen. Groß auf Einkaufslisten...«
    »Ich weiß«, versuchte Walter herauszubringen.
    »So sieht es also aus«, sagte Arthur, »du verstehst das, nicht wahr? Daran gibt es ja nichts zu drehen und zu deuteln. Du bist der letzte Loomis, und du darfst die Fleischerei nicht im Stich lassen.«
    Dann stand Arthur auf und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
    Zum erstenmal seit langem fror Walter, und von da an ging das Fieber zurück.
    Danach kam es ihm recht gelegen, daß er nicht sprechen konnte. Er wollte keine Fragen gestellt bekommen und keine Versprechungen machen müssen. Schweigend blickte er in die Zukunft und erkannte, daß er vielleicht doch kein Hillbilly-Sänger werden konnte. Er schaffte das Jodeln nicht. Er war beim Üben beinahe gestorben. Und ohne das Jodeln konnte es nur ein imaginäres Amerika geben, nicht das richtige Tennessee mit seinen treuen Schwarzen und treuen Hunden. Alles würde nur ein schwacher Abklatsch sein.
    Als er wieder nach Hause kam, kochte seine Mutter Markknochen für eine Fleischbrühe aus. Das Rot seiner Wangenwar zu einem fleckigen Grau geworden, und seine Stirn glich einer weißen Tafel. Er lag in seinem Schlafzimmer und hörte das geschäftige Treiben unten im Laden, das Scharren und dumpfe Schlagen des Hackbeils, das Klingeln der Ladenkasse.
    Mit der Zeit ließen dann die Schmerzen in seinen Stimmbändern nach, als wären sie von der tatsächlichen Ankunft des Frühlings geschmiert worden. Seine Stimme kehrte zurück, erst noch ganz schwach und zu kraftlos, als daß sie sein Atmen gestört und sich Gehör verschafft hätte.
    Zum erstenmal lauter war sie dann an einem Spätnachmittag am Fluß, unter einem fischschuppenartigen Himmel. Seine Mutter hatte ihn dorthin geschickt, um Brunnenkresse für Tee zu pflücken. Der Fluß floß durch Sonny Wards Felder in die Loomis-Weiden.
    Dort traf er Estelle. Sie saß auf der Bretterbrücke, die Sonny mal an einem Tag selbst gebaut hatte, und neben ihr stand ein Eimer mit Brunnenkresse. Ihre Füße baumelten ins Wasser, die Schuhe hielt sie in der Hand.
    Walter winkte ihr zu. Sie sah zu ihm herüber, rührte sich aber nicht und machte keinerlei Anstalten, ihn zu begrüßen. Daher rief er und hörte, daß seine Stimme wieder recht kräftig war, fast so wie vor Rose Marie . Er rief: »Guten Tag, Mrs. Ward!«, doch Estelle antwortete nicht, und Walter fragte sich, ob die Kraft, die er in seiner Stimme gehört hatte, vielleicht doch nur Einbildung gewesen war. Er wollte gerade noch einmal zu rufen versuchen, als er Estelle aufstehen und weggehen sah; ihren Eimer mit der Brunnenkresse ließ sie stehen.
    Beim Tee sagte Grace: »Das überrascht uns nicht, Walter. Du bist ganz schön lange krank gewesen und hast daher nicht mitbekommen, was im Dorf so alles geredet wird.«
Estelle:
    Sie sagen: Sonny ist ein guter Mann.
    Sie sagen: Es ist schön in England.
    Sie sagen: Ich weiß nicht, was dir so angst macht, Estelle. Ich kann es ihnen erzählen. Als ich vierzehn war, nahm mich Livia einmal mit ins Theater. Gegen Ende des Stücks schält ein Mann eine Zwiebel. Er sucht die eigentliche Zwiebel unter all den Schalen. Er kommt zum Kern, und da ist nichts. Wie

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