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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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getragen; seine Gummistiefel waren aus London. Seine Leidenschaft galt den Nachtfaltern. Seine Küsse waren kraftlos und schwach. Er sagte immer: »Ich werde dich niemals überrumpeln, Estelle. Das steht außer Frage.« Und ich erwiderte dann: »Danke. Das ist sehr rücksichtsvoll von dir und sehr beruhigend.«
    Er hieß Miles, ließ sich aber gern Milo nennen. Das tun manche Leute. Sie machen sich mit einer selbstgewählten Kleinigkeit lächerlich. Er wurde in den Ardennen getötet und irgendwo in Belgien begraben. Ich stellte mir immer vor, daß er wie ein Nachtfalter zu Staub wurde. Doch ich meine, daß Nachtfalter aus Staub gemacht sind, während Milo durch und durch England war und nicht gewollt haben konnte, dort zu sterben. Er hatte wie ein Herrenausstatter gerochen, und mit seinem dünnen, seidigen Haar hätte man unsichtbar nähen können.
    Als Sonny lange genug in der Schlange gestanden hatte, ich seinen Blick erwiderte und er nahe an mich herankam, begriffich, daß hier nichts außer Frage stand. Er fuhr mit mir in seinem alten Ponywagen hinaus, hielt irgendwo im Schatten an und erforschte meinen Körper mit seinen Händen. Er sagte: »Mein ganzes Leben schon warte ich auf eine schöne Frau.« Ich war seine Zwiebel. Er wußte nicht, daß im Kern nichts ist.
    Da ich aus einem feinen Dorf kam, glaubte er, daß ich nichts vom Landleben verstand. Er hielt mich diesbezüglich für so blind und taub wie jene Leute, die in ihrem Austin herausgefahren kamen, um auf ihren mitgebrachten Decken zu picknicken und dicke Sträuße Wiesenblumen zu pflücken, die sie dann in Vasen steckten. Blumen in Vasen fand er schrecklich. Er meinte, Frauen würden zuviel Falsches lieben. »Wenn man auf dem Lande leben will, muß man mit dem Herzen dabei sein. Man muß sich damit auskennen.« Ich sagte nichts von Livias Begabung, Blumen anzuordnen.
    Er zeigte mir ein paar der verborgenen Dinge, von denen die Austin-Fahrer nicht einmal wußten, daß es sie gab: eßbare Boviste, Pfifferlinge, Haferschlehen, Fenchel und wilden Knoblauch. Er selbst hatte noch nie in einem Austin gesessen. Doch er kannte die Fährte eines Dachses und den Ruf eines Kleibers. An Nachtfaltern war er nicht sonderlich interessiert. Er stieg durch das Mansardenfenster in mein Schlafzimmer ein, als mein Vater allein am Kamin saß und Wincarnis schlürfte. Er nahm sich nun ganz, was er im Wagen schon gekostet hatte, und ich nahm ihn. Und dieses Nehmen, daran erinnere ich Irene, ist wie eine Droge. Man will es und will es. Der Verstand schmilzt dahin, die Möse wird zu einem samtweichen Fluß, und die Glieder werden zu Weidengerten, die sich bei der kleinsten Berührung biegen. Man will es immerzu. Bis zu dem Tag, an dem man es nicht mehr will. Dann ist man geheilt und frei, aber auch wieder ein Gefangener, der nichts hat.
    Nach einem Monat war Mary unterwegs. Sonny und ich heirateten in der Feuersteinkirche. Mein Brautbouquet war ein Lilienstrauß, der nach Vergangenem duftete. Wir wurdenmit Rosenblütenblättern übersät. Sogar in der Kirche, als wir niederknieten, war das Begehren da.
    Ich zog auf Sonnys Hof und ließ meinen Vater mit seiner Flasche Wincarnis und dem Daily Telegraph allein zurück.
    Im Bett legte Sonny sein verkrüppeltes Ohr auf meinen Bauch und sagte: »Bete, daß es ein Junge wird. Bete, bete, bete.«
    Und so frage ich mich jetzt, wenn ich am Fluß spazierengehe, was ein ungeborenes Kind von all den verlorenen, merkwürdigen oder dahinschwindenden Dingen weiß. Was dringt durch die Gebärmutterwand zu ihm durch? Verstand Mary, daß ich mich nicht nach ihr sehnen sollte, sondern nach jemand anderem, dem Kind von Sonnys Vorstellung?
    Ich erinnere mich noch daran, wie sie sich einmal verlaufen hat. Bevor ihr Leben noch richtig begonnen hatte, verlor sie darin die Orientierung. Sie lief in einen Wald und hielt sich dort an einem Baum fest, als würde dieser sie retten und als hätte sie nach diesem gesucht.
    Es dauerte lange, bis wir sie fanden. Ich dachte, sie wäre in einem Graben ertrunken, und fing zu weinen an. Sonny meinte: »Wenn du weinst, Estelle, siehst du gar nicht mehr hübsch aus. Dann geht alle Ähnlichkeit mit Ava Gardner verloren, die du je gehabt haben magst.«
    Ich gehe also zum Fluß und blicke mich an. Ich sehe hinunter auf mein Gesicht und auf die kleinen Wellen, die es nicht beachten und ihre Bewegung nicht unterbrechen. Der Fluß hat ein Ziel. Er muß am Unkraut und an den Binsen vorbei zum salzigen Meer. Ich aber habe

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