Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Augenblick meines Lebens. Das ist sogar noch schlimmer als meine Mutter im Mountview.
Sonny stieß sie von sich, und sie fiel auf den rauhen Küchenboden. Sie suchte verzweifelt nach den beiden Teilen ihres Hemdes, um es zuzumachen. Sonny trat sie gegen den Oberschenkel. »Du bist zum Kotzen!« schrie er. »Das ist es, was du bist.«
Er trat noch einmal mit dem Stiefel nach ihr, dann hörte ihn Mary aus der Küche gehen und die Tür hinter sich zuschlagen. Sie dachte: Nun ist es vorbei. Aber nein, das ist es nicht. Nun fängt alles erst an.
Mary packte den Koffer.
Sie hatte jetzt mehr einzupacken als damals, als sie zu Cord gezogen war. Sie hatte Bücher über den englischen Bürgerkrieg und ein Exemplar von König Lear . Sie hatte ihre Zauberrequisiten und jene marmorierten Blätter, die ihr am besten gefielen. Sie hatte einen Hockeyschläger, einen Baby-BenWecker und eine Boxkamera.
Zitternd holte sie ihre Fotos von Lindsey heraus. Sie wünschte, Lindsey würde in ihrem Angorapullover aus den kleinen Schwarzweiß-Schnappschüssen heraustreten und die Arme um sie legen.
Sie wusch sich das Gesicht. Eine Wange war aufgeschürft, und ihre Augen brannten. Die zerschnittenen Bandagen warf sie weg. Sie stanken nach Angst. Sie warf auch das Hemd weg, das Sonny zerrissen hatte. Es war fünf Uhr nachmittags, und Irish-Stew-Duft stieg in ihr Zimmer hinauf. Sie dachte: Ich werde nie wieder mit ihnen um den Küchentisch sitzen und essen, was sie essen. Von jetzt an werden sie nur noch zu dritt sein.
Sie hatte einen billigen Koffer. Großmutter Livia hatte flaschengrünes, mit Schweinsleder eingefaßtes Gepäck mit einer Gravur ihrer Initialen L. C. zwischen den Schnappschlössern besessen, doch ihr Koffer schien aus Blech und Pappe zu bestehen. Wenn man weiß, wer man ist, wenn man einen Namen trägt, den man liebt, dann kann man mit grünem Gepäck reisen und über die Köpfe der anderen Leute hinweg nach einem Gepäckträger rufen, dachte Mary. Wenn man aber Martin Ward ist und weiße Brüste hat, dann muß man sein Leben in Pappe packen und wegtragen, immer nur wegtragen, immer weiter, ohne je zu wissen, wohin.
Sie warf einen letzten Blick auf ihr Zimmer. Es war das einzige, was sie nicht verlassen wollte. Es tat ihr leid um das Zimmer. Niemand würde nun hineingehen, Licht machen oder bei Dunkelheit die Vorhänge zuziehen. Und wenn es durch die Löcher des Dachs aus vergipsten Holzbrettern regnete, würde niemand eine Schüsselreihe darunter stellen.
Es war ein Herbstabend und roch nach Feuern auf den Feldern. Aus dem Wohnzimmer drang Fernsehgelächter. »Lachen«, hatte Edward Harker einmal gesagt, »ist unser Versuch, den Tod hinauszuschieben.«
Als Mary in den Hof hinausging, hatte sie zwei Schatten vor sich – ihren eigenen und den ihres Koffers. Sie gingen immer weiter, und Mary folgte ihnen, und sie blickten nicht zurück, und niemand versuchte sie zurückzuhalten.
Mary hatte keinen Plan.
Sie besaß fünf Shilling und acht Pence.
Ihr fiel wieder ein, wie sie einmal weggelaufen und zu Irene gegangen war und dort Pearl Geschichten über Montgolfier und das Universum erzählt hatte. Sie glaubte jedoch nicht, daß man im Augenblick bei den Harkers Zeit für sie haben würde. Und das war es, was sie brauchte, jemanden, der Zeit für sie hatte.
Ihr erster Gedanke war, irgendwie, durch Umsteigen vomeinen Bus in den andern, nach Gresham Tears zu gelangen. Cord würde kein Wort über ihren schweren Koffer verlieren. Die sich um die Tür rankenden Rosen würden noch blühen. Cord würde sagen: »Dein Zimmer ist gerichtet, das Bett bezogen. Und in der Speisekammer ist Ingwerlimonade.« Aber was dann? Sie würden vor dem Radio sitzen. Sie würde versuchen, Cord Dinge zu erzählen, die er nicht würde glauben können. Sie würde ihm Schaden zufügen. Er würde sich die Nase putzen, damit man nicht merkte, wie schockiert und traurig er war. Er würde »Verdammt schlechte Show!« in sein Taschentuch murmeln.
Sie kam ans Ende des Feldwegs, stellte den Koffer ab und zog den Hockeyschläger heraus, der ihn schwerer machte, als sie tragen konnte. Sie legte sich den Schläger nun wie ein Gewehr über die linke Schulter. Wie tröstlich muß es doch sein, Soldat zu sein und ein Regiment zu haben, auf das man stolz sein kann und das auf einen stolz ist, dachte sie.
Sie ließ den Gedanken, nach Gresham Tears zu gehen, wieder fallen. Sie war sich sicher, daß sie, bevor es dunkel wurde und bevor der Koffer so schwer wurde,
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