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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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habe sie zum Lachen gebracht, und es ist spät, und jetzt sollte ich nach Hause gehen, bevor das Unwetter hier ankommt.
    Doch er wußte, daß er nicht nach Hause gehen würde. Er wußte, daß er dieses Mädchen dazu bringen mußte, ihn so zu sehen, wie er sich sah. Er mußte bei ihr bleiben, bis sie seine innere Schönheit erkannte. Das mußte er einfach.
    Der Regen hatte nun eingesetzt. Er wurde vom Sturm seitwärts gepeitscht, so daß er wie Nadeln auf die Fenster des Busses stach.
    Petes Kaffee war kalt geworden. Seine Erinnerungen an Memphis hatten ihn so still gemacht, daß er vergessen hatte, ihn zu trinken. Nur sein Herz und sein Auge waren unruhig.
    Es regnete in Marys Zimmer. Als es zu blitzen anfing, sah sie die Nässe auf dem Boden schimmern.
    Mary lag da und blickte unbeweglich darauf. Sie dachte: Das darf nicht sein. In ein Zimmer sollte es nicht hineinregnen.
    Doch es hatte keine große Bedeutung. Sie war fünfzehn und beobachtete überall um sich herum Niedergang. Es hatte mit ihr selbst angefangen. Ihr Fleisch war nicht härter geworden, wie sie es erwartet hatte. Es hatte ihr nicht gehorcht. Sie sah sich als Martin Ward, einen schlanken Jungen.
    Sie faßte ihre Brüste an. Deren Haut war sehr weiß und das Gewebe unbeschreiblich, wie sonst nichts an ihr. Sie waren wie Hüllen um den Keim von etwas anderem, geradeso, als seien ihr zwei Eier unter die Haut gelegt worden, die sich nun wie Parasiten von ihr ernährten.
    Wenn sie aufwachte, griff sie nach ihren Brüsten, in der schwachen Hoffnung, sie geschrumpft, geplatzt oder abgeschnitten vorzufinden. Sie tat es im Dunkeln, unter der Bettdecke, um sie nicht zu sehen. Sie konnte ihren Anblick nicht ertragen. Am Tag wickelte sie einen elastischen Verband um sie, immer wieder, siebenmal, und befestigte diesen mit einer Sicherheitsnadel. In ihrer Vorstellung war sie Martin, und sie hoffte, ihrer Vorstellung mit den Bandagen Ausdruck zu verleihen.
    Sie waren noch da unter ihrem Schlafanzug, hart, wenn auch plattgedrückt. Es regnete in ihr Zimmer, doch sonst war nichts Außergewöhnliches, wie zum Beispiel das Verschwinden ihrer Brüste, geschehen. Mary hatte sich in Geographie mit dem Monsun befaßt. Regen konnte einen Wandel herbeiführen. Flüsse entstanden, wo vorher Straßen gewesen waren, und sonst Trockenes, wie etwa Seidenquasten, schwamm auf dem Wasser. Einige Leute wurden vor dem Verhungern gerettet, andere ruiniert. Vielleicht war das in Swaithey ja auch so, doch mit ihr war nichts geschehen.
    Mary stand auf und ging zum Fenster. Beim nächsten Blitz bemerkte sie etwas Großes, metallisch Schimmerndes auf dem Rasen. Es war die Fernsehantenne. Sie hatte ihre ursprüngliche Form verloren. Estelle würde jetzt auf dem Bildschirm nur noch weißes Flimmern sehen. Sie würde davorsitzen und kein Bild und keinen Ton haben, daher wieder aufstehen und nach den Pillen suchen, die sie mit sich herumtrug und immer verlegte.
    Mary lauschte auf Geräusche, die auf das Aufwachen ihrer Familie schließen ließen, doch niemand schien aufgestanden zu sein, und sie dachte: Das ist typisch für sie. Ein Unwetter bricht los, und sie alle verharren in ihren eigenen, nutzlosen Träumen und hören nichts davon. Dann am Morgen sind sie erstaunt. Ach, sieh doch, das Dach ist ja weggeblasen worden, die Kühe sind vor Angst verrückt geworden und haben sich in den Ställen wie Hengste aufgebäumt, und die Küken schwimmen! Sonny wird fluchen und herumschreien. Estelle wird sich mit ihren Pillen hinsetzen und graue Haare auszupfen. Timmy wird die Küken mit einem Geschirrtuch abtrocknen, eins nach dem andern, und sie werden ihm dankbar die Knie picken.
    Mary zog den Morgenrock an und nahm die Taschenlampe vom Nachttisch. Sie mochte ihr Zimmer. Sie wollte nicht, daß es vom Regen ruiniert wurde.
    Im Haus herrschte Stille. Mary ging auf Zehenspitzen wie ein Einbrecher. In der Küche traf sie auf Sonny, der mit dem Kopf in einer Starkbierpfütze auf dem Tisch schlief. Im Raum roch es nach seiner Bierfahne. Mary richtete den Strahl der Taschenlampe auf sein Gesicht. In seinem Korallenohr waren kleine Bläschen wie Spucke. Seitdem er den Mähdrescher gekauft und sich dadurch verschuldet hatte, war es mit dem Trinken schlimm geworden. Mary dachte: Eines Tages wirder umfallen, mit dem Ohr auf einem Stein aufschlagen – einem Stein, den niemand aufgehoben und in einen Seesterneimer getan hatte – und sterben.
    Sie ging zu einem der Schränke und holte ein paar Schüsseln heraus.

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