Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Höllenglut in die Finger steigt und sich übers Handgelenk bis in meinen schweren Arm ausbreitet. Das ist der Anfang. Und nach meiner Berechnung wird es dann, wenn es einmal angefangen hat, nicht mehr aufhören. Es wird kein Zurück mehr geben, niemals.
Mary:
Weihnachten 1962 verbrachte ich bei Cord. Er sah sehr verändert aus. Er sagte, ein Gänseschwarm sei in einer V-Formation über Gresham Tears geflogen, und die V-Spitze sei wie die Zeit gewesen, die überall Verwundungen zurückließ. Sein Wincarnis-Konsum war gestiegen. Er sagte: »Martin, ich werde ein verdammter Saufbold.«
Ich betrank mich mit ihm. Die Zeiten der Ingwerlimonade waren vorbei. Wir besäuselten uns auf dem Kaminvorlegerund bastelten Papierketten. Die Farben – Rot, Blau, Grün, Gelb und Violett – sollten eine bestimmte Reihenfolge haben, doch wir waren recht nachlässig damit. Unsere Ketten sahen aus, als hätten sie Schimpansen hergestellt.
Die Ärzte hatten Cord erklärt, es gebe für das, was mit ihm geschehen sei, keinen bestimmten Namen. Er sagte zu mir: »Für jeden Dreck gibt es einen Namen, nur hierfür nicht.« Ich dachte an Mary Martin und erwiderte: »Namen spenden auch keinen Trost, Cord.« Er schüttelte den Kopf. »Da stimme ich mit dir nicht überein. Denk doch an den Namen Livia.«
Ich wollte Cord mit einem hübschen Weihnachtsgeschenk trösten. Meine Mutter hatte mir per Post fünfundzwanzig Shilling geschickt. Dabei hatte eine Weihnachtsgrußkarte gelegen. Nirgends war »zu Hause« zu lesen gewesen, auch nicht das Wort »Vater«.
Ich kam zu der Überzeugung, daß sich Cord über meine Pauszeichnung von Sir John Elliot 1620–1672 freuen würde. Daher ließ ich sie rahmen und wickelte sie in sechs Bögen Geschenkpapier ein.
Cord hängte sie in die untere Toilette. Er sagte, sie sei ganz famos. Pauszeichnungen von Messingtafeln hätten in zweierlei Hinsicht etwas Gespenstisches, wie alles Wichtige im Leben zwei Seiten habe: Sein und Nichtsein, männlich und weiblich, und dazwischen gebe es nichts, kein Niemandsland.
Also saß ich auf der Toilette und sah Sir John an, und er sah mich mit seinen leeren Augen an, und ich dachte: Cord hat unrecht, es gibt ein Niemandsland, ein Land, das niemand sieht und wo ich mich befinde.
Von Cord bekam ich einen Skianorak mit einer pelzverbrämten Kapuze. Ich zog ihn an. Cord sagte, ich würde darin wie eine Schneekönigin ausschauen. Deshalb trennte ich in der Nacht den Pelz ab und legte ihn beiseite, um ihn Lindsey zu schenken, falls ich sie je wiedersehen würde.
Das sind all meine Erinnerungen an Weihnachten. Ansonsten war ich nicht ganz bei mir.
Das neue Jahr begann ich mit Miss McRae. Sie fragte mich: »Hast du irgendwelche Vorsätze gefaßt, meine Liebe?«
Ich hatte den Vorsatz gefaßt, Lindsey zu vergessen. Sie kam nicht mehr in die Schule und hatte sich mit Ranulf Morrit verlobt. Sie benahm sich, als wäre sie über Nacht fünfundzwanzig geworden, und sagte: »Mein Schatz Ranulf wird Bilanzbuchhalter.«
Der Schatz Ranulf schlief mit Lindsey in einem in Vergessenheit geratenen Dienstmädchenzimmer im Hause seiner Eltern. Der Schlafraum Ramonas, der Köchin, befand sich direkt nebenan. Spanier hatten ihre Ohren zu verschließen.
Als Lindsey mir davon berichtete, hätte ich am liebsten gesagt: »Bitte laß das!« Doch sie hielt mich fest, lachte mir ins Ohr, und ihr Haar berührte mein Gesicht; mein ganzer Atem schien sich oben auf meiner Lunge zu sammeln und schwerer als ein Stein auf mir zu lasten.
Sie erzählte: »Ich wußte vorher nicht, wie es ist, sich hinzugeben , Marty. Ich meine, sich völlig zu unterwerfen . Und das ist es, was so phantastisch daran ist. Ich meine, daß Ranulf auf mir liegt und mich tun läßt, was er möchte... und ich will es auch , das ist das Wunderbare, ich meine, ich möchte alles tun, was er will, nicht das, was ich will, und wenn er kommt – du weißt doch, was Kommen ist, nicht wahr? –, sagt er immer: Mein Gott, Lindsey, ich komme, ich komme, und ich denke, mein Gott, er kommt, und ich fühle mich so... privilegiert. Verstehst du, was ich meine?«
Ich mußte weit weg. Ich lief über den gefrorenen Hockeyplatz und zu einem der Tennisplätze. Dort setzte ich mich auf den Splitt und lehnte mich gegen den Drahtzaun. Ich blickte von oben auf mich herab, als wäre ich Gott oder der Navigator eines Flugzeugs. Ich sah wie ein Sack Kohle aus und spürte, wie meine Lunge schwarz wurde.
Ich versuchte an Tennis und an den Sommer zu denken.
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