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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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doch nur wenige Nationen haben bisher davon gehört. Ich glaube, wir haben mehr Dichter oder Möchtegerndichter als Leser. Icb bin für die Abonnements zuständig. Als Schreibtisch dient mir ein Getränkewagen, der da war, als Rob das Büro mietete, und von dem ich die Räder abgenommen habe. Ich soll eine Kampagne starten, um neue Abonnenten anzuwerben.
    Rob und Tony sind sehr nett zu mir. Sie nennen mich Mart. Tony hat einen blonden Pferdescbwanz. Er wäre lieber Dichter als Herausgeber von Gedichten, und manchmal veröffentlichen wir auch welche von ihm. Sie handeln von den Aborigines und ihrem verlorenen Land. Die Ureinwohner Australiens und die Schwarzen Südafrikas sind die beiden Gruppen, denen Liberty zu helfen versucht. Rob und Tony sagen, die Mittelschicht Englands müsse auf das Elend dieser Menschen aufmerksam gemacht werden. Auch ich mußte erst darauf aufmerksam gemacht werden. Icb wußte zwar von Südafrika, aber nichts vom Elend der Aborigines – all die Jabre in Swaithey hatte ich nichts davon gehört.
    Ich würde das zwar nicht zu Rob und Tony sagen, doch ich glaube, daß das Magazin in Schwierigkeiten ist. Am Montag habe ich die Rechnung einer Druckerei über hundertsiebenundneunzig Pfund und drei Shilling gefunden, und wir bekommen laufend Briefe von Dichtern, in denen sie die fünf Pfund anmahnen, die wir für jedes veröffentlichte Gedicht zahlen wollen. Ich habe Tony gefragt: »Was machen wir bloß mit all diesen Rechnungen und Forderungen?« Es schien ihn nicht weiter zu beunruhigen. Er meinte: »Ganz ruhig bleiben, Mart. Setz dich nieder und schick ein paar Hinhaltebriefe raus, okay?«
    Ich arbeite gern hier. Es macht mir Spaß, morgens zu kommen, das Fenster neben meinem Getränkewagen zu öffnen, das hängende Feigenblatt zu gießen und den Wasserkessel für den Kaffee auf den Herd zu stellen. Ich mag den Papiergeruch, den wir hier ständig wegen der Stapel unverkaufter früherer Ausgaben von Liberty haben, die in meiner Zimmerecke auf internationale Leser warten. Es macht mir Freude, Maschinenschreiben zu lernen. Es gefällt mir, die braunen Umschläge mit den Gedichten hoffnungsvoller Einsender zu öffnen und, schon bevor ich sie an Rob oder Tony weitergebe, zu überlegen, ob sie etwas taugen. Letzte Woche erbielten wir ein Gedicht, das ich sehr gut fand. Es handelte von einem Elefanten, der mitten in der Serengeti in einer Betongrube in der Falle saß. Es bildete mein Bewußtsein darüber, was Elefanten brauchen, um artgerecht zu leben. Doch Tony meinte, es sei sentimental, und Rob sagte, es sei Schrott. Daher wurde es, gleich vielen anderen, die wir im Laufe der Woche bekommen hatten, zurückgeschickt. Die Liberty kann es sich nicht leisten, Briefmarken auf ihre Absagebriefe zu kleben.
    Sie kann es sich auch nicht leisten, mir ein gutes Gehalt zu zahlen. Ich bekomme elf Pfund die Woche, drei davon gehen für die Zimmermiete weg. Ich ernähre mich hauptsächlich von Tomatensuppe, doch ab und zu gehen wir auch noch ins griechische Lokal.
    Und merkwürdigerweise habe ich ausgerechnet in diesem griechiscben Lokal, das Zorba heißt, das starke Gefühl, in London zu sein, ja nicht nur da, sondern ein Teil davon zu sein.
    Mary lag im Bett, hörte die Bruchstücke anderer Leben aus dem dunklen Schacht vor ihrem Fenster und dachte: Man könnte fast sagen, daß ich glücklich bin. Sie ging in ihrem Bett auf die Knie, öffnete das Fenster, lehnte sich hinaus und sah hinunter. Die toten Röcke waren längst fortgeschafft worden, doch jetzt dachte sie, daß ihr Glück eigentlich in dem Augenblick, als ihre Röcke hinuntersegelten, seinen Anfang genommen hatte.
    Eines Abends, als Mary von der Redaktion der Liberty nach Hause kam, fand sie einen Brief von Cord vor. Er begann: »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht, alter Kumpel.« Seine Schrift war klein und zittrig, und auf dem Papier waren braune Spritzer, Tee- oder Wincarnisflecken. Cord schrieb:
    Die gute Nachricht ist die, daß mein Auge aufgehört hat zu tränen und wieder auf gleicher Höhe mit dem anderen zu sein scheint. Niemand kann sagen, warum. Der Arzt nicht. Ich nicht. Doch so ist es auf der Welt. Niemand hat eine Ahnung. Hörst Du manchmal diesen Bob Dylan? Er hat eine wehklagende Stimme, doch ab und zu möchte man ja gerade so etwas hören. Er sagt, die Antwort kennt ganz allein der Wind – und damit hat er verdammt recht.
    Nun zu der schlechten: Deine Mutter ist wieder im Mountview. Sie ist von sich aus hingegangen. Man

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