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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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nennt das freiwillige Einweisung. Ich habe sie natürlich dort besucht (und mir selbstsüchtig gewünscht, Du wärst bei mir), und sie wirkte ruhig und gefaßt. Wir haben im Garten, der ihr sehr gefällt, einen kleinen Spaziergang gemacht. Ich habe sie gefragt, warum sie da von alleine hingegangen ist, und sie hat gesagt, es sei ihr Zuhause, ihr zweites Zuhause.
    Ich habe ein paar Worte mit jemandem in einem weißen Mantel gewechselt, den ich für einen Chefarzt hielt. Er erklärte mir, daß die Depression Deiner Mutter eine Krankheit sei, nicht anders als Beriberi oder Masern. Sie wollen es jetzt mit einer Schocktherapie versuchen. Du weißt, was das ist, nicht wahr? Elektroschocks. Ich habe zu ihm gesagt: ›Mir wäre es lieber, wenn Sie das nicht machen würden. Ich habe meine Frau in einem Segelflugzeug verloren und möchte nicht auch noch mein einziges Kind hergeben müssen.‹ Er meinte aber, daß man davor keine Angst zu haben brauche. Es sei die beste Antwort darauf. Ich sah davon ab, etwas von Bob Dylan zu sagen. Ich ging dann, weil ich nichts weiter tun konnte.
    Mary faltete Cords Brief zusammen und steckte ihn weg. Dann rannte sie hinaus in den dichten Feierabendverkehr. Sie achtete nicht darauf, wo sie hinlief. Sie war froh über den Lärm, die Abgase und das Licht der Neonröhren.
    Sie ging in eine Kellerbar, an deren Schild Ethel sie schon viele hundert Male vorbeigekommen war. Auf der Treppe zu ihr hinunter roch es nach Seetang. Sie setzte sich auf einen der hohen Plastikhocker und sah sich um. Die Wände waren schwarz gestrichen, jedoch von bleistiftdünnen weißen Lichtstrahlen hell erleuchtet. Die Musik spielte; Joan Baez sang Copper Kettle .
    Rauch sammelte sich in den Lichtstrahlen und blieb darin hängen. Hinter dem Rauch sah Mary nur Frauengesichter. Sie bestellte sich ein kleines Guinness und trank es schnell aus, so, wie Sonny immer trank. Dann musterte sie ihre Umgebung, ließ diese ganz in sich eindringen, so daß kein Raum mehr für eine Vision vom Mountview oder für irgendeine Vision der Vergangenheit blieb. Die Frauen erwiderten ihren Blick.
    Mary bestellte noch ein Guinness. Ihr fiel auf, daß das Schwarzweiß des Guinness zum Schwarzweiß der Bar paßte.Sie dachte: Niemand in Swaithey könnte sich vorstellen, daß es eine Bar wie diese gibt, nicht einmal Edward Harker.
    Am anderen Ende der Bar saß allein eine schon etwas ältere Frau in einem schicken lindgrünen Kostüm. Sie beobachtete Mary wie eine Löwin ihre Beute. Als sich ihre Blicke begegneten, kletterte sie vom Hocker und nahm mit ihrem Drink – irgendeinem Cocktail – neben Mary Platz. Sie roch nach Parfüm. Die Hand mit dem Cocktailglas hatte lange perlmuttfarbene Nägel. Sie stellte sich vor: »Ich heiße Georgia.«
    Sie saßen still nebeneinander und atmeten die parfümierte Luft ein. Georgia ist ein schöner Name, sogar noch schöner als Pearl, dachte Mary und sagte: »Man nennt mich Marty, manchmal auch Mart, wie in Exchange and Mart , dem Tausch- und Immobilienmarkt.« Georgia erwiderte: »Ich nenne dich Marty, einverstanden?« Mary meinte: »Namen sind wichtig. Findest du nicht auch?« Dann sah sie sich Georgia näher an und stellte fest, daß der Name schöner als die Frau war.
    Georgia wollte Mary nach Soho zum Essen ausführen. Sie nahmen ein Taxi. Georgia griff nach Marys Hand und legte sie sich auf die linke Brust. Ihre Wahl fiel auf ein russisches Restaurant. Auf den Tischen flackerten Kerzen, und an den Wänden hingen goldene Ikonen. Sie saßen auf Samthockern, und Georgia lehnte sich an Mary und lächelte, so daß man ihre großen Zähne sehen konnte. Sie sagte: »Schau jetzt nicht hin; da drüben in der Ecke sitzt Darryl Zanuck.«
    Sie tranken Wodka aus Schnapsgläsern. Mary spürte, wie der angstvolle Teil ihrer Seele – der durch Cords Brief mitgenommen war – in sich zusammenfiel und ein schwarzes Loch hinterließ.
    Sie konnte kein Auge von Georgia wenden. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit den blaßlippigen Mädchen ihrer Träume, hatte keine natürliche Grazie. Doch es genügte, daß sie Mary wollte. Das genügte völlig. Noch nie hatte jemand sie gewollt, Georgia aber wollte sie. Sie flirtete mit den Augen, und ihr Fuß berührte unter dem Tisch den ihren.
    Mary dachte: Man hat Macht, wenn man begehrt wird – wenigstens für eine Weile. Und dieses Machtgefühl ist etwas Herrliches. Es ist ganz und gar kein Schrott, wie Rob sagen würde.
Estelle:
    Sonny schenkte mir einen Hund. Das Baby, nach dem ich

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