Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
zuerst sagt, von größerer Bedeutung ist als das, was einem später einfällt.«
Cord antwortete: »Ich möchte annehmen, Martin, daß Dein Zeitungsverkäufer ursprünglich ›Zeitungen, Zeitschriften‹ gerufen hat. Du siehst, wie leicht die Sprache eingeengt werden kann. Das nennt man die Amerikanisierung der englischen Sprache.«
Miss McRae schrieb dazu: »Deine Gedanken über den Zeitungsmann, Mary, haben mich sehr beeindruckt. Versuch doch mal ein Gedicht darüber zu verfassen. Vielleicht veröffentlicht es dann Dein südafrikanischer Freund.«
Es dauerte nicht lange, da begann Mary ihren Job zu hassen: die Monotonie und Sinnlosigkeit, den Wassergeruch, das Alleinsein den ganzen Tag über, das nur vom Kommen und Gehen der Kellnerinnen mit ihren Geschirrtabletts unterbrochen wurde. Und eines Abends, hauptsächlich, weil sie es gewöhnt war, Miss McRae zu gehorchen, setzte sie sich an den Tisch und schrieb ein Gedicht darüber, nicht über die Stille Post des Zeitungsmanns, sondern über all die endlosen Tage und Abende, die sie an der tiefen Spüle verbrachte. Sie nannte es »Gefangen im Alltag«. Erst am nächsten Morgen bemerkte sie, daß sie ganz aus Versehen ein Protestgedicht geschrieben hatte.
Ein paar Tage später lief sie im Treppenhaus Rob, dem Südafrikaner, in die Arme. Er trug gerade einen Plastikschrank hinauf. Sie sprach ihn an: »Kommst du mal abends auf einen Kaffee vorbei?«
Er balancierte den Plastikschrank auf die vorletzte Stufe und wandte sich Mary zu. Sie sah ihn Maß nehmen: flaches Gesicht, kurzes Haar, kleine Statur, Brille... Sie sagte: »Ich werde keinen Versuch unternehmen, dich dazu zu bringen,mich zu mögen. Ich mache mir nichts aus Männern. Ich habe ein schlechtes Gedicht geschrieben, das ist alles.«
Sie konnte deutlich sehen, daß es das Wort »schlecht« war, das sein Interesse erweckte. Wenn man zu jemandem sagt, daß etwas schlecht ist, dann will er es sehen, um sich selbst ein Bild zu machen.
Er fragte: »Worüber denn?«
»Darüber, wie einen der Alltag mit Beschlag belegt.«
»Laß dich warnen. Mir gefällt nur selten ein Gedicht. Das meiste, was uns geschickt wird, ist Schrott.«
Sie sagte: »Meins ist Schrott.«
Darüber mußte er lächeln. Er erwiderte, er würde am Mittwoch um neun zum Kaffee kommen.
Das Gedichtmagazin hieß Liberty .
»Es soll ein bewußtseinsbildendes Magazin sein«, sagte Rob. »Alles darin soll politische Unterdrückung zum Inhalt haben. Leider gibt es nicht genügend gute Gedichte über dieses Thema. Deshalb müssen wir die Seiten manchmal mit Zeugs über Friedhöfe, Kafka oder Leeds füllen.«
Marys Gedicht Gefangen im Alltag wurde nie in der Liberty veröffentlicht. »Es ist ganz und gar kein Schrott, Martin«, erklärte Rob, nachdem er es gelesen hatte, »aber man merkt ihm an, daß es ein erster Versuch ist, nicht wahr? Du bist in diesem Genre nicht zu Hause, noch nicht.«
Mary machte das nichts aus. Sie hatte das Gedicht nur Miss McRae zuliebe und als eine Art Protest gegen die Monotonie ihrer Arbeit im Café geschrieben. Sie wollte keine Dichterin werden.
Doch sie wurde, wie sie es irgendwie geahnt hatte, Robs Freundin. Sie strich sein Zimmer. Er entschied sich für ein leuchtendes Rot. Gelegentlich aßen sie in einem griechischen Lokal zusammen zu Abend. Sie erzählte ihm von ihrer Liebe zu Lindsey. Er erzählte ihr von seiner Liebe zu seinem Land, in das er vielleicht nie zurückkehren würde. Sie beschrieb Lindseys Hochzeit. Er beschrieb den Sommerhimmel überKapstadt. Sie saßen sich im griechischen Lokal gegenüber und blickten auf ihre getrennten Vergangenheiten, und dann sagte Rob eines Abends: »Hör im Café auf. Arbeite bei der Liberty mit. Wir brauchen eine Aushilfe. Bei uns darfst du den Kaffee kochen , nicht nur die Scheißtassen spülen!«
Die Redaktion der Liberty befand sich in einem Zweizimmerbüro über einem Friseur. Bei dem Friseur spielte die Musik den ganzen Tag: die Hollies, Marvin Gaye, Dionne Warwick, die Beatles. Im Treppenhaus stank es nach Peroxid. Manchmal konnte man Schreie hören, und es war schwer zu sagen, ob es Freuden- oder Entsetzensschreie waren. An der Tür zum Friseur hing der Hinweis: Eingang zum »Comme-il-Faut-Salon«. Die Liberty befindet sich im ersten Stock.
Mary beschrieb die Redaktion der Liberty und ihre Aufgabe dort in Briefen an Cord und Miss McRae:
Ich arbeite hier zusammen mit Rob und seinem Partner Tony, einem Australier. Es handelt sich um ein internationales Magazin,
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