Die Verwandlung
Bewusstsein zu verlieren. Am nächsten Morgen wachte ich auf, bevor der Wecker klingelte. Ein paar verschlafene und wundervolle Augenblicke lang lag ich da und dachte: Wow, was für ein durchgeknallter Traum. Da begannen meine Handflächen zu jucken. Ich hielt sie in die Höhe und sah kleine Hautfetzen herunterhängen. Darunter befanden sich an mehreren Stellen Krusten aus getrocknetem Blut. Ich strampelte meine Decke weg… und steckte noch immer in den Kleidern, die ich mir aus Dawns Schrank genommen hatte– bis auf die Stiefel. Nachdem ich meine Brille ertastet und aufgesetzt hatte, spürte ich, dass sich mein Gesicht durch das alte Make-up klebrig und kalt anfühlte. Stöhnend wälzte ich mich auf den Bauch und richtete mich auf. Mein Kissen sah so erbärmlich aus, wie ich mich fühlte, und war von der Schminke rot, lila und schwarz gestreift. Ich hatte versäumt, mich letzte Nacht zu waschen. » Mist « , murmelte ich. Ich polterte aus dem Bett und betrachtete mich im Spiegel. Das goldene T-Shirt hing zerknittert und schief an mir herunter, meine Haare waren verheddert und durcheinander, und mein Gesicht glich dem eines Clowns. Ich bemerkte, dass mir die Möpse aus dem Dekolleté hingen wie einer viertklassigen Promitussi, und bedeckte sie sofort mit meinen Armen. Die Erinnerung daran, wie ich mich letzte Nacht an Lucas und Jared rangewanzt hatte, drang in mein noch verschlafenes Gehirn ein. Nie zuvor hatte ich mich vor jemandem derart entblößt gezeigt, zumindest nicht mehr, seit ich in die Pubertät mit all ihren einhergehenden Veränderungen gekommen war, die mich klobig und unförmig werden ließ und mir etwas bescherte, das ich unter sackartiger Kleidung verstecken musste. Aber all meine Bemühungen, unbemerkt zu bleiben, waren letzte Nacht verschwunden gewesen– ich war halb nackt ausgegangen und hatte meine Makel zur Schau gestellt. Was wohl die beiden blonden Jungs aus der Band dachten? Ich erinnerte mich an Jareds übermütiges Grinsen. Was, wenn dieses Grinsen bedeutete, dass ihm nicht gefiel, was er gesehen hatte? Was, wenn er mich ausgelacht hatte? Und wie ich mit ihm geredet hatte! Gute Mädchen benahmen sich anders. Ich wandte mich vom Spiegel ab. Mein Magen rebellierte. War ich krank? Ich hatte einmal eine Episode aus einer dieser Krankenhausserien gesehen, in der ein Mädchen irgendwelche Sporen im Gehirn bekommen und einen der Ärzte angemacht hatte. Ein Quäntchen Staub in ihren Neuronen hatte in ihr ein wahnsinniges Lustgefühl ausgelöst. War mir etwas Ähnliches widerfahren? Anderseits– was war dann mit dem Hechtsprung aus dem Schlafzimmer? Der Verfolgung eines Autos die Straße entlang? Dem Springen über Zäune? Dem Hinausklettern aus einem verdammten fahrenden Auto? Wie war es ausgerechnet mir, Emily Webb, überhaupt möglich gewesen, solche Dinge zu tun, ohne als blutige Masse auf dem Betonboden zu enden? Ich bin undankbar, ich weiß. Als ich mit sieben Jahren zum Tanzunterricht ging, spielte ich bei Aufführungen immer einen Baum, Strauch oder Ähnliches– unbelebte Objekte eben. Und sogar da hatte ich es noch geschafft, über meine eigenen Füße zu stolpern. Die Eltern im Publikum hatten versucht, nicht zu lachen, während die anderen kleinen Tänzerinnen und Tänzer mich böse angefunkelt hatten, weil ich ihren großen Auftritt verpatzt hatte. Das war jedoch nicht das Schlimmste. Sogar als ich noch zitternd dastand und mich fühlte, als würde ich mich gleich auf meine Bettdecke übergeben, mochte ein Teil von mir noch immer das Gefühl, das ich gestern Nacht empfunden hatte. Ein Kerl auf der Straße hatte sich wie ein Idiot benommen, und ich hatte ihn mir vorgeknöpft. Ich sah einen süßen Typen, mit dem ich reden wollte, und ich redete mit ihm– wenn auch auf eine etwas nuttige Art und Weise–, und all das hatte nicht das Ende der Welt bedeutet. Ich sprang herum wie eine Gestalt aus einem Videospiel, eine Art Superheldin, die über Zäune hüpfte und die Straße entlangraste, ohne in Schweiß auszubrechen. All das hatte sich so gut angefühlt. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben so etwas wie Selbstvertrauen empfunden– als könnte ich alles tun, was ich wollte. Es war nämlich so: Je älter ich wurde, und je deutlicher ich erkannte, dass die anderen um mich herum erwachsener wurden, umso intensiver hegte ich den Traum von einer geheimen, perfekten Version meiner selbst. Ich hatte mir seit jeher gewünscht, so selbstbewusst, schön und superathletisch zu sein wie
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