Die Verwandlung
rationale, emotionale Tagsüber-Emily ins Gesicht sehen, der einzigen meiner offensichtlich drei Persönlichkeiten, die sich, zum Teufel noch mal, stets mit den Taten der beiden anderen auseinanderzusetzen hatte. Doch mir war so kalt und klamm vom frühmorgendlichen Tau, und ich spürte einen stechenden Schmerz im Rücken, der vom Liegen auf dem Sperrholzboden kam. Der Schuppen wurde vom grauen Morgenlicht, das durch die aufgebrochene Tür drang, nur schwach erleuchtet, sodass ich kaum etwas erkennen konnte. Ich tastete herum, bis ich Dawns blaues Glitzerkleid fand. Als ich es hoch hielt, verzog ich das Gesicht. Pailletten waren abgefallen, es war zerknüllt, schlammverspritzt und ganz steif vom getrockneten Sabber eines Wolfsmädchens. Ein Teil von mir wollte zu weinen anfangen. Ich hatte so verzweifelt versucht, das Kleid, das die Nächtliche Emily Dawn gestohlen hatte, in Sicherheit zu bringen. Das hatte ja viel gebracht. Ein anderer Teil von mir fühlte hingegen… Stolz, vermute ich. Weil ich mich in etwas Monströses verwandelt hatte und dennoch teilweise ich selbst geblieben war. Ich hatte zumindest noch genug Kontrolle gehabt, um einige Prioritäten zu setzen. Was ich nicht von mir behaupten konnte, wenn ich die Nächtliche Emily war. Das ruinierte Kleid sah ekelerregend aus, doch es war alles, was ich hatte. Also streifte ich es über und hatte das Gefühl, als hätte ich ebenso gut einen Kartoffelsack anziehen können, so entblößt fühlte ich mich ohne Unterwäsche. Ich griff mit meiner schlotternden Hand nach dem oberen Ende des Rasenmähers und zog mich auf die Beine. Die Schuppentür quietschte, als ich sie öffnete, und ich musste blinzeln, während ich versuchte, mich ans Tageslicht zu gewöhnen. Alles war verschwommen– wenn es etwas gab, das ich von meiner Verwandlung in die Nächtliche Emily letzte Nacht wirklich behalten wollte, dann wäre das ihre hundertprozentige Sehkraft. Ich verzog das Gesicht, während ich über die scharfen, nassen Grashalme stieg, und begab mich zur Hintertür. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, doch wusste ich, dass es noch früh war. Vielleicht war noch keiner auf, sodass auch niemand bemerkt hatte, dass ich überhaupt weg gewesen war. So bereit mein Vater auch gewesen war, mich trotz meiner Party-Exzesse mehr oder weniger vom Haken zu lassen, so bewusst war mir auch, dass sogar unsere Daddy-Leelee-Beziehung ihn nicht davon abhalten würde, völlig auszurasten, wenn er herausfand, dass ich es schon wieder getan hatte. Die Hintertür war verschlossen, und ich bemerkte, dass ich letzte Nacht dummerweise nur Megans Schlüssel mitgenommen hatte. An meine eigenen Haustürschlüssel hatte ich überhaupt nicht gedacht. Ich war mir schon sicher, dass ich, um hineinzukommen, die Klingel drücken und mich ergeben müsste. Also ging ich ums Haus herum zur Vordertür, atmete tief ein und drehte am Türknauf. Es war offen. Ich atmete langsam wieder aus, öffnete leise die Haustür und schlich in die Diele. Dann schloss ich die Tür so leise wie möglich und ging auf Zehenspitzen in Richtung Treppe, als jemand hüstelte. Ich fuhr zusammen und drehte mich langsam zum Esszimmertisch um.
Da saß Megan in derselben Kleidung, in der ich sie letzte Nacht verlassen hatte. Sie hatte dunkle Ringe unter den blassen Augen, so als wäre sie die ganze Nacht wach gewesen. Ihre Unterlippe zitterte, und ihre Nasenflügel bebten bei meinem Anblick. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
» Hi « , flüsterte ich.
Sie schüttelte ganz langsam ihren Kopf und lief rot an. » Du hast etwas mit mir gemacht « , blaffte sie mich schließlich unter Mühen an. » Du hast mein verdammtes Auto gestohlen, Emily, und alles, was du zu sagen hast, ist ›Hi‹? «
Ich fingerte am Saum des Kleids herum und blickte misstrauisch zur Treppe hinüber. » Bitte « , flüsterte ich, » ich kann alles erklären. Aber… hast du es ihnen gesagt? Als gestern Abend alle nach Hause gekommen sind, hast du ihnen da erzählt, dass ich ausgegangen bin? «
Megan schlug mit den Handflächen auf den Esstisch. Die kleine Schüssel mit Äpfeln in der Mitte des Tisches hob ab und setzte scheppernd wieder auf.
» Ich musste ihnen gar nichts erzählen « , schnauzte sie mich an. » Du hattest an alles gedacht. Wahrscheinlich sahen sie, dass mein Auto weg war, nahmen an, dass ich gegangen sei, spähten in dein Zimmer und sahen jemanden, den sie für dich hielten, unter der Bettdecke schlafen. Dann gingen sie selbst zu Bett.
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