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Die Verwandlung

Die Verwandlung

Titel: Die Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Sampson
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ich retten. Stattdessen schnappte ich durch die Nasenlöcher nach Luft, als ich, endlich zu Hause, zwischen den Bäumen zum Stehen kam.
    Da roch ich ihn.
    Meinen Gefährten.
    Meine menschliche Seite hatte Angst vor dem, was das bedeutete– es könnte der Mörder sein, der versuchte, mich erneut auszutricksen. Der mir mit einer weiteren Ampulle flüssigen Moschusdufts hinter den Bäumen auflauerte und darauf wartete, mich zu erschießen. Der wölfischen Seite, meiner dominanten Seite, war das gleichgültig. Mein Kopf nahm Haltung an. Ich strengte mich an, um sicherzugehen. Irgendetwas in mir war sich sicher: Dieser hier war nicht wie Daltons Geruch, und es war auch nicht wie der Duft, der der Pfütze entströmt war, die aus der Ampulle des Mörders stammte. Dies hier war das Wahre. Meine Nase sagte es mir: Mein Gefährte war hier. Nach dieser langen, aufregenden und beängstigenden Nacht brauchte ich ihn so sehr. Ich hatte schon viel zu lange nach ihm gesucht. Ich musste wissen, dass es ihm gut ging, ihn in meiner Nähe wissen und meine Schnauze an seinem Nacken reiben.
    Mit erneuter Konzentration jagte ich durch die Bäume, wirbelte beim Laufen Blätter und Schmutz auf. Ich beschnüffelte den Boden, ignorierte andere Tiergerüche und folgte seinem Duft.
    Und dann war er da.
    Er war weit entfernt, tiefer im Park und ständig in Bewegung. Dank der blassen Straßenbeleuchtung, die durch das Dach aus Baumkronen drang, konnte ich deutlich erkennen, dass meine Nase mich nicht getäuscht hatte. Er war kein normaler Wolf. Er war wie ich– halb Mensch, halb Wolf; groß, schlaksig, mit menschenähnlichen Muskeln, die in dunkles Fell gehüllt waren, sowie einem in die Länge gezogenen Gesicht, das einer abgewandelten Form eines authentischen Wolfskopfes entsprach.
    Ich wollte, dass er meinen Geruch aufnahm, dass er sich umwandte und zu mir lief. Doch er blieb in Bewegung. Ich konnte aufheulen, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, doch dann würde mir das Kleid aus dem Maul fallen, und mein menschliches Gehirn weigerte sich noch immer, das zu tun. Also folgte ich ihm, ohne mich damit aufzuhalten zu schleichen, sondern rannte mit großen Schritten durch das Unterholz wie ein polternder, klobiger und unvorsichtiger Mensch.
    Er durchbrach die letzte Baumreihe noch vor mir und lief auf einer der Vorstadtstraßen zu einer Reihe kleiner Häuser hinüber. Als ich die Straße erreichte, konnte ich nicht sehen, auf welches davon er zugesteuert war, doch der Teil von mir, der noch Emily Webb war, erkannte aufgrund jahrelanger Fahrten durch mein Heimatstädtchen, wo ich mich befand. Ich sehnte mich danach, dem Duft zu folgen, um in die wohltuende Gesellschaft meines Gefährten zu gelangen. Doch ich war zu erschöpft und konnte nicht mehr weiterlaufen. Mein Kopf fühlte sich leicht und benebelt an. Mein Herz schlug gegen meine verwandelte Brust, und meine Innereien strafften sich. Ich wusste, dass meine Nacht sich dem Ende zuneigte. Ich musste mich irgendwo in Sicherheit bringen, musste mich selbst davor schützen, von jemandem bei meiner Rückverwandlung in den Normalzustand beobachtet zu werden. Den Weg nach Hause nahm ich nur unscharf wahr, doch plötzlich stand ich vor dem zweistöckigen Gebäude, das ich seit Jahren kannte. Obwohl es so schrecklich menschlich war, empfanden meine wölfischen Nasenlöcher den Geruch als beruhigend. Hier gehörte ich hin. Hier war ich sicher vor Männern mit Pistolen, vor Männern aus Schatten. Ich wollte hochspringen und durch mein Schlafzimmerfenster hüpfen, doch nach dem langen Nachhauseweg von Seattle hierher konnte ich derartige Herausforderungen nicht mehr auf mich nehmen. Stattdessen wankte ich mit müden Augen durch den hinteren Garten, in dessen Ecke sich unser alter Geräteschuppen befand. Ich stellte mich auf die Hinterpfoten, zog mit meinen Klauen die Tür auf und kroch hinein. Ich konnte meine Augen nicht mehr länger offen halten und brach im Schatten des Rechens und des Rasenmähers auf dem rauen Holzboden zusammen. Ich spuckte das schmutzige Kleid aus und hechelte, während ich meine Zunge zwischen meinen scharfen Zähnen heraushängen ließ. Müde bis auf die Knochen legte ich meinen Wolfskopf auf meine langen Läufe und schlief ein.

The Vesper Company
    »Der hellste Stern, der uns alle leitet.«
    – Internes Dokument, Nicht für den Umlauf gedacht–
    Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll von Person A / Abteilung B
    Sitzung Teil 4 – aufgenommen am 31 .Oktober 2010
    F .

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