Die Verwandlung
jener Teil, der nicht die Erfahrungen der letzten Woche gemacht hatte, wollte erröten und sich bedecken, unsichtbar werden oder etwas in der Art. Doch das tat ich nicht. Ich fühlte mich… wohl in meiner eigenen Haut, vermute ich mal. Diesmal kam ich mir nicht so schrecklich unförmig oder verlegen vor, zumindest nicht in Gegenwart von Spencer, dem netten, etwas dümmlichen Jungen, an den ich niemals zuvor einen Gedanken verschwendet hatte und in dessen Gegenwart ich mich nun gelassener fühlte als in der irgendeines anderen Menschen seit meiner Kindheit. » So… « , sagte ich schließlich in die Stille hinein. Ich wollte alles ansprechen, was geschehen war– die Verwandlung in einen Werwolf, BioZenith, den Mörder, die gruseligen Schattenmänner, die ich sah, wenn ich eine Wölfin war. Aber ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte, besonders nicht in unmittelbarer Nähe einer Leiche. Das alles war einfach zu viel für mich.
Spencer lachte nervös auf. » Ja, tut mir leid, ich bin dieses › Töten in Notwehr‹ nicht gewöhnt und war irgendwie in Gedanken. « Spencer biss sich auf die Innenseite seiner Wange und neigte den Kopf. » Was sollen wir mit ihm machen? « , fragte er mit Blick auf die Leiche.
Das Vertuschen eines Mordes, wenn es auch Notwehr gewesen war, zählte nicht unbedingt zu meinen Hobbys, also stand ich einen Augenblick lang nur völlig ratlos da. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich erst kürzlich die Bekanntschaft eines jungen Mannes vom örtlichen Polizeirevier gemacht hatte. » Ich denke, ich weiß, was zu tun ist « , sagte ich. » Kann ich dein Telefon benutzen? «
Ich musste Megans Bruder unheimlich früh aufwecken, um an Jareds Telefonnummer heranzukommen, doch glücklicherweise war Lucas noch zu benommen, um Fragen zu stellen. Dann rief ich kurz Jared an. Ich musste lediglich sagen, dass ich Hilfe brauchte, und er bot an vorbeizuschauen. Eben ein pflichtbewusster Bürger, dieser Typ. In Spencers Haus war es still und leer. Ich saß alleine in seinem Wohnzimmer, während ich auf Jareds Ankunft wartete. Alles in Spencers Haus wirkte irgendwie billig und muffig, als stammten die beige Couch, der zottige Teppich sowie die hellbraune Multimedia-Anlage entweder vom Flohmarkt oder aus einem Secondhand-Kaufhaus.
Die Dekoration bestand aus kleinen Tee-Sets, die überall im Zimmer verteilt herumstanden, schmucken Porzellantassen und Tellern mit aufgemalten Bildern, die ich ohne meine nächtliche Sehfähigkeit lediglich als verschmierte Flecken wahrnahm.
Spencers Mutter und Vater besuchten gerade seinen älteren Bruder in seinem College in einem anderen Bundesstaat, was, wie ich annahm, von Vorteil für uns war. Es wäre doch irgendwie ungünstig gewesen, die Schreie von letzter Nacht und die Leiche erklären zu müssen.
Nebenan, wo Patrick wohnte, hörte man eine Autotür zuknallen und einen Motor starten. Im selben Moment wurde die Hintertür von Spencers Haus geöffnet, und er quetschte sich hindurch. Er war immer noch in Trainingshosen und T-Shirt, hatte dieses Ensemble jedoch mit einer Plastiktüte über seiner Hand abgerundet. » Ist dein Freund von der Polizei inzwischen hier? « Er knüllte die Tüte zusammen und warf sie in den Mülleimer neben der Hintertür. Dann kam er herüber und ließ sich auf die gegenüberliegende Couch fallen.
» Noch nicht « , entgegnete ich. » Hast du… du weißt schon… «
» Ja, ich habe alles verändert. «
» Wow, das Verändern eines Tatorts « , murmelte ich. » Zuerst das Einbrechen in Nachtklubs, jetzt das Vertuschen eines Mordes. Ich frage mich, was wohl als Nächstes auf dem Plan steht für die verrückte Emily Webb. «
Spencer warf mir einen Blick zu. » Du bist in einen Nachtklub eingebrochen? «
Mir wurde flau im Magen. Plötzlich wollte ich nichts weniger, als vor ihm wie ein ausgeflippter, wilder Teenager dazustehen. Doch wurde ich vor weiteren Erklärungen bewahrt, als ein Auto in die Einfahrt einbog. Ich sprang auf und öffnete die Vordertüre, als Jared den Fußweg entlangkam.
Sein blondes Haar war zerzauster als sonst und seine Augen noch ganz verquollen, so als hätte ich ihn aufgeweckt. Er schenkte mir jedoch ein freundliches Lächeln, als er bei der Tür ankam. » Also, wie ich höre, gab es Ärger « , begann er. » Bei dir wundert mich das kaum. «
Mein Gesicht brannte. » Na ja, ich… ähm… «
» Hallo, Mann. « Spencer trat an meine Seite und hielt Jared die Hand hin. Man musste Jared zugutehalten, dass er
Weitere Kostenlose Bücher