Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Wunschzettel«, meinte der Vater, »du bist ja unser Sonnenschein!«
»Was man ihr auch gibt, dauernd quengelt sie herum und will mit ihren zwei Jahren am liebsten von morgens bis abends auf den Arm genommen werden. Aber irgendwann fehlt mir einfach die Kraft.« – »Ich will heute ganz viel essen!«, schreit der dreijährige Franz. Aber kaum hat er angefangen zu essen, verkündet er ebenso lauthals: »Ich bin satt und es passt nichts mehr in meinen Bauch.« Daraufhin der Vater: »Wenn du nichts mehr magst, ist das okay. Wir wollen dich ja nicht zwingen.« – »Jeden Tag dasselbe Theater mit dem Zubettgehen«, seufzt eine entnervte Mutter. »Erst nach der allabendlichen ca. zehnminütigen Autofahrt wird Barbara müde, sonst ist kein Einschlafen möglich. Gott sei Dank nickt sie mittlerweile jedoch schon nach einem Video weg.« – »Mama, wenn ich kein Taschengeld mehr von dir bekomme, sage ich es am Wochenende Papa, wenn er mich wieder nachmittags zu sich holt. Der ist nämlich nicht so knauserig!« Daraufhin die Mutter: »Was meinst du denn, wie viel Geld du zusätzlich brauchst?«
Dies ist ein kleiner, unsortierter Auszug von Verwöhn-Beispielen. Mal geht die Initiative von den Eltern aus, mal vom Nachwuchs. Ruhe haben oder gefallen wollen, Konfliktvermeidung und Verlustangst sind die Beweggründe. Wer jedoch nicht als Kind lernt, sich auseinanderzusetzen, wird als Erwachsener vor kleinsten Beanspruchungen kapitulieren. Wer »Kindern die Probleme stiehlt«, wie Thomas Gordon dies formulierte, betreibt gleichzeitig Raubbau am weiteren Lebensglück. Wenn Ihnen diese Beispiele als Beleg für Verwöhn-Situationen nicht reichen sollten, setzen Sie sich auf Kinderspielplätze, in Straßenbahnen, beobachten Sie Kinder und ihre Eltern in Kinos, Restaurants, Kaufhäusern, Ausstellungen, Arztpraxen, bei Gottesdiensten oder Beerdigungen.
Verwöhnung beginnt, wo die Herausforderung ausbleibt. Verwöhnung verhindert somit
❯ Interesse und Neugier
❯ Auseinandersetzungsbereitschaft
❯ Kraft und Ausdauer
❯ Anerkennung (wer keine Anerkennung findet, erkennt auch nichts anderes an)
❯ Zielstrebigkeit
❯ angemessene Rückmeldungen
❯ Grenzerfahrungen
❯ selbst geschaffenen Erfolg
❯ ein realistisches Selbstbild
❯ und damit Selbstvertrauen (wer sich nicht traut, traut auch keinem anderen)
❯ Zufriedenheit und Selbstwert (wer sich selbst nicht als Wert erfährt, achtet auch keine anderen Werte)
❯ Lebensmut
❯ Toleranz und Rücksicht
❯ Eigenständigkeit
❯ Verantwortungsbewusstsein
❯ soziale Kompetenz
Ein kurzes Zwischenresümee angesichts dieser einzelnen Aspekte:
Verwöhnung verhindert ein erfolgreiches Leben!
Viele Eltern und andere in erzieherischer Verantwortung Stehende glauben in der Situation des Handelns, ihrem/einem Kind wirklich etwas Gutes zu tun. »Schließlich gibt es im späteren Leben so viele schwere und entbehrungsreiche Situationen, dann soll es als Kind wenigstens in angenehmen Rahmenbedingungen heranwachsen!« Dies ist eine der häufigsten Entgegnungen, wenn Betroffene das eigene Verwöhnen zu rechtfertigen suchen.
Aber wie eine Quarantäne-Station eben kein Übungsfeld zur Entwicklung von Abwehrkräften ist, so kann die künstliche Welt vieler Erziehungsräume auch nicht auf die Realitäten von Anstrengung, Disharmonie und Konflikt vorbereiten. Der einzige Weg, um für das zukünftige Leben gewappnet zu sein, besteht darin, ›Gefordertwerden‹ und ›Auftanksituationen‹ in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Optimal sind jene Bedingungen, in denen Kindern und Jugendlichen ermöglicht wird, sich auf möglichst unterschiedliche erwartbare Situationen vorzubereiten. Nicht durch Vermeidung wird dies erreicht, sondern indem gelernt wird, damit umzugehen. Kein Mensch würde z. B. Mitarbeiter einer Feuerwehr für ihre Aufgaben üben lassen, indem Trainingstermine als nette und angenehme Kaffeerunden arrangiert würden, frei nach der Devise: Die tatsächlichen Einsätze werden schwer genug. Auf den Ernstfall des Lebens von Kindern und Jugendlichen bezogen glauben viele Zeitgenossen, mit Anstrengungs-Vermeidung oder als Liebe deklarierter Verzärtelung am geeignetsten vorzubereiten. ›Nein‹, werden einige sich besonders angegriffen fühlende Leser vielleicht einwerfen wollen, ›was hier als Verwöhnung bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit Ausdruck elterlicher bzw. erzieherischer Verantwortung. Wir reagieren nur auf die Grundbedürfnisse von Kindern nach Zuwendung
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