Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
steigern gesuchtes ›Mutterglück‹ das ›Kindeswohl‹ behindern. Damit wären dann ›Tür und Tor des Zuviel‹ geöffnet. Denn jeder nicht an der Zukunft des Kindes orientierte Maßstab führt zur Verwöhnung.
Nicht nur das Ausloten und Setzen von Orientierungspunkten im noch unstrukturierten Leben von Kindern ist eine wichtige erzieherische Aufgabe, sondern auch die Verdeutlichung schon existierender Grenzlinien. Denn wer auf die Überschreitung bekannt gemachter Grenzen nicht reagiert, bekundet damit, dass entweder die vorher aufgestellte Regel doch nicht so wichtig ist oder ihre Beachtung aus Angst vermieden wird. Ob es sich dann um Bettgehzeiten, Herumschreien, Essensverweigerung oder ein Hantieren an Mutters wertvollem Klavier handelt, ist zweitrangig. Da selbst ältere Säuglinge schon Grenzverstöße provozieren – der fragende Blick in Richtung Vater oder Mutter vor dem Übergriff in eine Tabuzone verdeutlicht eindeutig die Kenntnis der Zusammenhänge –, sind Eltern vom ersten Tag an gefordert. Wird häufig ein erstmalig störendes Verhalten ignoriert, weil es so ›süß‹ aussieht und Klein-Theresa es ja noch nicht begreifen kann, löst ein späteres Verbot – wenn dasselbe Verhalten nicht mehr als so ›putzig‹ angesehen wird – Irritationen aus. Auch die Ermöglichung immer größer werdender Wünsche fällt unter die Kategorie des Zuviel-Gewährenlassens.
Ein besonders eklatantes Beispiel fehlender Begrenzung auf Kosten anderer: Der ca. vierjährige Matthias ist mit seiner Mutter bei Freunden zu Besuch. Schon nach kurzer Zeit erkundet er recht gründlich das Wohnzimmer. Stereoanlage, Blumenvasen oder Tischdekoration – nichts ist vor ihm sicher. Als er die dritte Abstellebene des offenen Bücherregals durch gekonntes Klettern erreicht hat, reagiert die Gastgeberin leicht seufzend in Richtung Mutter: »Ingeborg, meinst du nicht, das geht zu weit?« Während Matthias sich keck weiter nach oben arbeitet, äußert sich die Mutter recht entrüstet: »Gehörst du etwa auch zu den Menschen, die ihren Kindern dauernd Begrenzungen aufzwingen? Du hast doch selber drei Kinder!« Ein eher zaghaftes »Eben!« der Gastgeberin geht zwischen Kaffeetrinken und Kuchenessen unter.
Übervolle Kinderzimmer, kaum geregelter Fernsehkonsum, überproportionale Geldzuwendungen, riesige Eisportionen, Berge an Süßigkeiten, willkürliches Aufgeben von vorher gemachten Absprachen – dies sind nur einige Beispiele des Zuviel im Umgang mit Kindern. Wer nach der Maxime ›Alles ist jederzeit auf leichteste Weise zu haben‹ aufwächst, wird mit Bitterkeit und Hass reagieren, wenn dieses Erfahrungsprinzip nicht mehr trägt. Zur Erinnerung: Grenzenlosigkeit macht irre!
Zu wenig gewähren lassen
Was würden Sie davon halten, wenn jemand vor dem Betreten eines Atomkraftwerkes von einer Sicherheitskraft den Hinweis erhielte: »Passen Sie unbedingt gut auf, denn hier lauern viele Gefahren!«? Sie würden vermutlich – je nach Naturell – entweder einen Lachanfall bekommen oder wütend am Verstand ihres Gegenübers zweifeln. Denn auf was genau und in welcher Weise aufzupassen wäre, bliebe restlos offen.
Wie wenig hilfreich muss ein Kind von acht Monaten, welches eine Treppe hochzuklettern versucht, den warnenden Hinweis eines besorgten Erwachsenen empfinden: »Pass auf, dass du nicht fällst!« Denn was wirklich hilfreich wäre, bleibt ebenso ungenannt wie beim vermeintlichen Sicherheitshinweis vor dem Betreten des Atomkraftwerkes. Soll tatsächlich eine Hilfestellung gegeben werden, ist mehr als ein vehementes Äußern substanzloser Achtungshinweise wie »Das ist heiß, gefährlich, tief, zu hoch oder zu schwer« vonnöten. Weiterführend wäre es, wenn konkret verdeutlicht würde, dass z. B. rutschfeste Söckchen oder Schuhe mit Gummisohle Vorbedingung sind und wie Händchen und Füßchen zu setzen sind, um mit gutem Halt auf den Treppenstufen voranzukommen. Der mehrdeutige Hinweis »Kinder lernen von Fall zu Fall« bringt auf den Punkt, dass Rückschläge bei Lernvorgängen nicht nur hinzunehmen, sondern fast notwendig sind.
Für eine zukunftsorientierte Erziehung reicht es nicht, nur möglichst selten Erprobungssituationen zu be- oder verhindern. Nein, Ziel muss sein, so häufig wie möglich herausfordernde Rahmenbedingungen für experimentierendes Tun zu schaffen. Denn nur ein frühzeitiges Einüben in geistige, soziale oder technische Fertigkeiten ermöglicht ein eigenständiges Handeln. Diesem Ziel laufen
Weitere Kostenlose Bücher