Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
und Geborgenheit.‹
Aber Verwöhnung reagiert eben meistens nicht auf die Grundbedürfnisse, sondern auf die eingesetzten Symptome:
❯ Ein Kind sucht Nähe und bekommt die Nuckelpulle.
❯ Ein Kind probt beim Essen per Spinat-Verweigerung den Aufstand und bekommt anstelle einer einfühlsamen Auseinandersetzung eine doppelte Portion Nachspeise.
❯ Ein Kind hat Langeweile und bekommt den Fernseher als Unterhaltung.
❯ Oder mit Udo Lindenberg: »Sie wollte Liebe und kriegte Taschengeld.«
Wird jedoch auf die Grundbedürfnisse reagiert, geschieht dies maßlos:
Verwöhnung vollzieht sich durch die Erfüllung bzw. Weckung lebenshindernder Bedürfnisse, konkret durch zu viel oder zu wenig Gewährenlassen oder durch unangemessenes Agieren und Reagieren.
Verwöhnung zwischen Zuviel, Unangemessenheit und Zuwenig
Über ein Zuwenig in der Erziehung wird eher selten diskutiert. Aber die Frage »Kann es überhaupt ein Zuviel an Zuwendung und Liebe geben?« wird häufig gestellt. Vorsichtig tasten sich Eltern so an ein schwieriges Thema heran und verdeutlichen gleichzeitig – wenn auch versteckt – die eigene Position. Denn nonverbal wird in den Raum gestellt, dass es kein Zuviel geben kann. Aber in dieser Gegenüberstellung lässt sich die Frage gar nicht beantworten. Außerdem wäre es sinnvoll, die Beweggründe und Wirkungen von Zuviel bzw. Zuwenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Weiterhin sind Sprachverständnis und persönliche Auffassung von Zuwendung und Liebe zu schillernd. Wende ich mich zu, weil es für mich oder das Kind wichtig ist? Wie grenzt sich Eigenliebe von selbstloser Liebe ab? Auch wird trefflich darüber gestritten werden können, was in der konkreten Situation zu viel und was zu wenig ist. Geht es um ein mögliches Zuviel an Geld oder Zeit, an Geben oder Lassen? Was ist für den Einzelnen zu viel? Wird dies aus der Perspektive des Kindes oder des Erwachsenen so bewertet? In welcher Relation stehen Viel oder Wenig zu vergleichbaren zurückliegenden oder kommenden Situationen?
Findet ein Mensch zu wenig Anerkennung, fördert dies seine Lebenshoffnung keinesfalls. Steht er dauernd im Zentrum der Beachtung, ist ein solches Zuviel in der Regel die Basis eines völlig unangemessenen Selbstbewusstseins. Ein übersteigertes Ego, welches sich ohne ›roten Teppich, Rampenlicht und Jubelchor‹ erst gar nicht zu bewegen gedenkt, wird mit Verweigerung oder Zorn auf die popelige Alltäglichkeit reagieren.
Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, welche erzieherische Haltung dem ›Viel‹ oder ›Wenig‹ an Zuwendung zugrunde liegt.
Zu viel gewähren lassen
»Aber wenn mein Kind quengelt und schreit, muss ich es doch an die Brust legen«, so eine 28-jährige Mutter. »Das muss mein Mann verstehen, schließlich geht es ja um das Wohlbefinden unseres Kindes.« Der Mann schien viele Veränderungen seit der Geburt des Kindes zu verstehen. Dass aber seine Frau seit ca. fünf Monaten fast rund um die Uhr den kleinen Nachwuchs am Busen hat, um ihm ein optimales Dauernuckeln zu ermöglichen, will er nicht als unbedingte Folge des Kindersegens akzeptieren. »Ich bin eben für eine sehr natürliche Säuglingsphase«, meinte sie jedoch. Damit war verbunden, dass die Verfügbarkeit der Ehefrau für die anstehenden Haushaltsarbeiten fast auf dem Nullpunkt angekommen war. Der berufstätige Ehemann hatte schon in den letzten Wochen der Schwangerschaft Wohnungsreinigung, Einkauf und Abwasch übernommen. Jetzt standen auch noch Kochen und Wäschepflege an. Wortkarg drückte er aus, dass er sich das Eheleben nach der Geburt der Tochter etwas anders vorgestellt hatte.
Bevor hier etwaige Gleichgesinnte zum – manchmal berechtigten – Loblied auf eine körpernahe Säuglingsphase anstimmen, wird vor einem überschnellen Rückgriff auf den Begriff ›natürlich‹ gewarnt. Zum einen ist Körperkontakt nicht mit Dauernuckeln gleichzusetzen und zum anderen nicht mit einer fehlenden Verfügbarkeit für häusliche Aufgaben. Naturvölker konnten und können sich einen solchen Unfug nicht leisten. Während der Stillzeit wird es der Frau des Neandertalers ebenso wenig möglich gewesen sein, die vielfältigen Aufgaben rund um die Feuerstelle ruhen zu lassen, wie den in unserer Zeit zwischen Haus- und Feldarbeit lebenden Indiofrauen in den Anden Perus. Und die Frage, wie extensiv die Stillzeit sein sollte, sollte nicht ausschließlich durch den angeblich ›natürlichen Instinkt‹ der Mutter gesteuert werden, denn dabei könnte zu
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