Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Ein und Alles.« – »Unserem Sorgenkind kann ich nichts abschlagen.« – »Welch ein Sonnenschein für unser Leben!« – »Seht doch nur, wie süß sie ist!« – »Wegen der Behinderung unserer Kleinen muss ich ihr halt viele Aufgaben abnehmen.« Solche Redewendungen sind Indizien dafür, dass bestimmte Kinder durch ihre individuelle Geprägtheit bzw. durch ihre Position in der Familie eine große Verwöhnbereitschaft bei Erwachsenen auslösen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn »das Kind als Krönung der eigenen Biografie, als Sinnstifter und emotionales Statussymbol« gilt. »Und weil es oft das einzige bleibt, vertreibt auch kein Geschwister das verwöhnte Königskind aus dem Schlaraffenland.« 24
Hier die häufigsten ›Fälle‹ verwöhnter Kinder:
❯ Einzelkinder
❯ Kinder mit besonders positiver Ausstrahlung
❯ Spätentwickler und Kinder mit Fehlentwicklungen
❯ kranke und behinderte Kinder
❯ Adoptivkinder oder Langzeit-Pflegekinder
❯ Nesthäkchen
❯ der lang ersehnte ›Stammhalter‹
So verständlich vordergründig ein überproportionales Hilfsangebot für schwächliche oder kränkelnde Kinder ist: Jegliches Reduzieren von Hürden verstärkt den vorhandenen Mangel. Sicher ist es schwer, auf Signale von Kindern im Sinne von ›Ich schaffe es nicht‹, ›Helft mir doch‹ nicht wie erwünscht zu reagieren. Wer hat nicht schon in der Situation gestanden, einer lieben Kleinen, die engelsgleich und mit süßem Augenaufschlag Grenzverletzungen einleitet, schweren Herzens ein notwendiges Stopp präsentieren zu müssen. Auch die Freude über einen vielleicht schon seit Langem erhofften Stammhalter oder das allein heranwachsende Kind trüben den Blick für das Aufgreifen notwendig werdender Konsequenzen. Und dass es viele Gründe gibt, der vor einem Jahr aus einem bosnischen Heim adoptierten dreijährigen Svenja dieses oder jenes Fehlverhalten nachzusehen, können wohl nur hartherzige Menschen nicht verstehen. Aber aus erzieherischer Weitsicht und Verantwortung bedürfen gerade solche Kinder aufgrund ihrer Sonderstellung adäquate Rückmeldungen und Herausforderungen. Weder das Einlegen eines Schongangs noch das Bewahren vor Frustration nützt einem Kind. Nicht Verwöhnung, sondern auf die Realitäten des Lebens hinzuführen ist Aufgabe von Eltern und anderen Bezugspersonen, auch wenn dies manchmal schwerfallen mag.
Ein Beispiel zum erfolgreichen Umgang mit einer kleinen körperlichen Behinderung, beobachtet vor vielen Jahren in meinem unmittelbaren Lebensumfeld: Auf Initiative der Mutter des vierjährigen Lukas sollten seine Augen einer gründlichen Untersuchung unterzogen werden. Obwohl alle bisherigen Vorsorgeuntersuchungen befundlos waren, stellte der Arzt eine rechtsseitige Sehmuskelschwäche mit 80-prozentiger Funktionsbeeinträchtigung fest. Der Mutter wurde gesagt, dass in jungen Jahren eine große Chance des Ausgleichens existieren würde. Bedingung: Das gesunde Auge muss über viele Monate sechs Tage pro Woche mit einem Pflaster abgedeckt und so außer Funktion gesetzt werden. Das funktionsgestörte Auge wird damit gezwungen, sich zu entwickeln. Am siebten Tage sollte das Pflaster fehlen, damit das gesunde Auge nicht seine Sehfähigkeit verliert.
Fast zwei Jahre dauerte diese Therapie, von vielen Tränen begleitet, aber mit Konsequenz durchgeführt. Der Erfolg konnte sich sehen lassen: Das kranke Auge hatte in der Zwischenzeit per Dauertraining eine so große Sehfähigkeit entwickelt, dass die verbliebene Beeinträchtigung noch Jahre später unterhalb des Grenzwertes für einen Eintrag im Führerschein blieb. Wären diesem Kind aus falsch verstandener Liebe die damit verbundenen Beeinträchtigungen und Strapazen erspart worden, besonders im Sommer, wo Schwitzen zu starkem Juckreiz führt, hätte das kranke Auge von Jahr zu Jahr seine Sehfähigkeit mehr eingebüßt. Das abschließende Fazit des behandelnden Arztes: »Eine Mutter, die mit solcher Konsequenz durchhielt, ist mir noch nicht begegnet. Das optimale Therapieergebnis spiegelt die Großartigkeit dieser Leistung wider.«
Prädisponierende Situationen zur Verwöhnung
Auch wenn Verwöhnung immer durch Menschen eingeleitet wird, bestimmte Situationen können die Bereitschaft dazu fördern. Da hat sich zum Beispiel die liebe Verwandtschaft angesagt. Einerseits freuen sich die Eltern der 14 Monate alten Leonore auf diesen Besuch, andererseits erzeugt er auch Druck. Sie möchten nämlich nicht wieder irgendwelche
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