Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Aufnahmevoraussetzungen und förderlichen Rahmenbedingungen werden sich stabile Kinder entwickeln. Es ist ein Grund zu tiefer Freude und Dankbarkeit, wenn trotz ungünstiger Umfeldbedingungen Gutes möglich wurde.
In diesem Buch wurde eine Fülle von negativen Beispielen für Verwöhnung zusammengetragen, häufig auch zur besseren Nachvollziehbarkeit eingebettet in die jeweilige Situation. Daneben gibt es natürlich viele Belege dafür, dass Eltern oder Menschen in anderen Rollen und Funktionen nicht verwöhnen. Das hervorzuheben ist mir wichtig. Da Verwöhnung häufig im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme feststellbar ist, hier drei Episoden aus dem Kleinkindbereich, die verdeutlichen, was durch Erziehung erreicht werden kann:
Laura, gut zwei Jahre alt, beim Mittagessen: Es gibt Sauerkraut, nicht unbedingt ein Favorit der Kleinen. Als sie die Schüssel sieht, signalisiert sie erst per Gesichtsausdruck und dann in Worten: »(Sch)Meckt nicht, Mama!« Daraufhin die Mutter liebevoll, aber klar: »Heute gibt es nun mal Sauerkraut mit Kartoffeln und Fleisch, sonst haben wir nichts!« Das nonverbale, aber deutliche Empfangssignal von Laura: ›Dann ist es halt so.‹ Der Teller wird problemlos leer gegessen.
Beim Mittagessen ist ein Mädchen aus dem Kindergarten zu Gast. Als alle Speisen auf dem Tisch stehen, die Mutter ist noch in der neben dem Essraum liegenden Küche, sagt Christina: »Ich mag aber keine Bohnen!« Daraufhin Thomas als Mini-Gastgeber: »Dann hast du heute Pech gehabt – wenn es Salat gibt, habe ich Pech.« Als die Mutter kurz danach zum Esstisch kommt und die Verteilung der Speisen ansteht, gibt es weder Anmerkungen noch Proteste. Es wird ganz normal gegessen.
So wie bei anderen Problemen werden auch die meisten Essstörungen durch die Erwachsenen in die Kinder hineintransportiert. Dabei spielen die Bequemlichkeit und Unreflektiertheit im Umgang mit Fertignahrung eine immer größer werdende Rolle, weil so weder Kauen gelernt noch Vielfalt erfahren wird. Eine weitere Anleitung zur Verweigerung von bestimmten Nahrungsmitteln erhalten Kinder durch folgende Aussagen: »Magst du das nicht?« – »Wenn du nicht willst, musst du das nicht essen!« – »Was möchtest du denn heute essen?« Solche Bemerkungen schaffen die Basis dafür, dass Kinder aus Funktionslust oder Machtspiel hier ›Ja‹ und dort ›Nein‹ sagen. Mit solchen Redewendungen wird gleichzeitig impliziert, dass es gutes und schlechtes, schmackhaftes und nicht schmeckendes Essen gäbe. Die Frage »Wie viel möchtest du von was haben?« bietet eine Wahlmöglichkeit, drückt aber indirekt auch aus, dass alles auf dem Tisch essbar ist. Erst so können sich im Laufe der Zeit wirkliche geschmackliche Bevorzugungen entwickeln. Und wenn dann gerade Hering oder Spinat als mögliche Anti-Speisen auf den Tisch kommen, hat man halt, wie es der kleine Thomas trefflich ausdrückte, Pech gehabt und nimmt sich weniger.
Die nachfolgende Begebenheit führt vor Augen, wie verbal konsequent wirkende Menschen gegenteilig handeln. Gleichzeitig wird mit mikroskopischer Schärfe deutlich, dass es um Vorteile für die Verwöhnerin geht, vom Gefühl, besonders beliebt und zugetan sein zu wollen, bis hin zum erstrebten Genuss strahlender Kinderaugen.
Tina ist bei ihrer Großmutter zu Besuch. Diese reicht ihr nach dem Essen eine Schale mit buntem Süßzeug: »Zwei Stück darfst du dir aussuchen, aber nur zwei Stück.« Die knapp Dreijährige sucht sich ein rotes und ein blaues Bonbon aus. Vor dem Wegnehmen der Schale schiebt die Großmutter noch schnell ein weiteres Exemplar dazu und sagt: »Hier hast du noch ein gelbes.« Daraufhin die Enkelin: »Aber Oma, du hast doch gesagt, dass ich nur zwei Stück nehmen darf!« – Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre dieser Hinweis ein bis zwei Jahre später nicht mehr gekommen. Dann hätte die Enkelin sicher still abkassiert. Aber bemerkt hätte sie die Inkonsequenz auf jeden Fall – und mit großer Wahrscheinlichkeit in Zukunft auch eingefordert.
So banal diese Begebenheit oberflächlich betrachtet vielleicht wirken mag: Wer so eklatant gerade erst getroffene Vereinbarungen unterläuft, sät Verunsicherung und wird fehlende Verlässlichkeit ernten. Ein solches Agieren bezeichne ich mit den Worten Paul Watzlawicks als ›eine sorgfältig geplante Frustration‹. Wer Menschen daran hindert, ein stabiles Selbst zu entwickeln, und sie stattdessen in die irremachende Beliebigkeit führt, handelt verantwortungslos und
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