Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
wird zur Zumutung – nicht nur für Kinder.
Die Kompetenz-Erweiterungs-Regel X + 1
Keine Sorge, eine Anmeldung zur Mathematik-Nachhilfe steht nicht an. Falls diese simple Formel jedoch Eingang in Ihr Leben finden sollte, wird sich immens viel ändern können. Sie basiert darauf, dass Menschen in der Regel nach mehr streben, was immer das auch sein mag. Seelisch Gesunde investieren Kräfte in die Erweiterung ihrer Potenziale, um so persönliche Begabungen geschickt zur jeweiligen Zielerreichung einzusetzen.
Die Regel X + 1 96 geht davon aus, alle Ressourcen zu nutzen, einschließlich der Fertigkeit zum adäquaten Ausgleich von Unterentwickeltem, um Optimierung zu erreichen. Konkret heißt das: Wenn ich das Ziel X erreicht habe, sagt das ›plus 1‹, was als Nächstes anzusteuern ist. Da verwöhnte Menschen einen substanziellen Mangel an Können und Wollen haben und sich zu häufig in der Verharrung befinden, ist über die Zwischenstufe ›Klick im Kopf‹ und im Rückgriff auf Beppo Straßenkehrers Erfolgsrezept in Momo ›Schritt für Schritt‹ vorzugehen. Würde der Blick auf das ganze Vorhaben gerichtet, der Mut könnte leicht in den Nullbereich fallen. Aber der Grundsatz ›dranbleiben‹ war schon beim Bau des Sueskanals wie auch bei der Landung des ersten bemannten Raumschiffes auf dem Mond der Schlüssel zum Erfolg. Hier wurden Leistungen erbracht, die vorher unmöglich erschienen. Verwöhnte Menschen tendieren in Situationen, wo Handeln ansteht, jedoch dazu, ein so hohes Idealziel aufzustellen, dass der erste Schritt nie getan wird. 97 So wird den im Unterbewusstsein nagenden Gedanken ›Eigentlich müsste ich ja …‹ der Garaus gemacht, weil ›so was einfach nicht schaffbar ist‹. Zur perfekten Verdrängung gibt es noch schnell den Nachschlag, dass ›es auch keinesfalls sinnvoll wäre‹. So wie hier mit Geschick das Ziel Totalverweigerung angesteuert wird, hält der seelisch halbwegs Gesunde konsequent Kurs auf die Stabilisierung seiner Persönlichkeit. Innerhalb unseres Themas heißt das: ›Mobilmachung gegen die Verwöhnung‹.
Auf den Alltag übertragen gibt es jetzt zig Ansatzpunkte, durch Vermeidung erst gar nicht in die Situation zu geraten, eigene Immunkräfte zu stabilisieren bzw. durch eine Bejahung des Guten leichter zum abwehrenden ›Nein‹ zu kommen. Dies schließt ein, sich für Verstöße gegen die selbst entwickelten Grundsätze auch Sanktionsregeln zu geben. Auf einem solchen Weg werden sicher einige kraftzehrende Hürden vorhanden sein.
Während ich diese Zeilen schreibe, strampeln sich die besten Radrennfahrer der Welt bis zum Gehtnichtmehr ab, um bei der Tour de France eine gute Platzierung zu erreichen. Mögliche Abbruchgedanken bei nachweisbarer Erschöpfung werden durch das Verlangen reduziert, den triumphalen Empfang in Paris unbedingt als Aktiver erleben zu wollen. Wenn bei den Leserinnen und Lesern zwischenzeitlich auch etwas von einer vergleichbaren Sehnsucht entfacht wurde, werden auch sie kraftvoller und konsequenter die Höhen und Tiefen ihrer Tour des Lebens meistern. Immer wenn der Schlendrian sagt: ›Lass es doch‹, ist Überhören oder Widerstand gefordert. Jedes Mal, wenn wir glauben, an die Schallmauer unserer Kräfte zu stoßen, haben wir mit der Regel X + 1 ein probates Mittel zum Weitermachen.
Bei fast jeder Tour de France gibt es schwere Stürze. Auch wenn noch ein großer Teil der Strecke vor den Betroffenen liegt, machen sie meist weiter. Verwöhnte Menschen hören dagegen sofort auf, wenn es ein wenig wehtut oder Durchhalten ansteht. Dass Weitermachen trotz großer Mühe keinesfalls mit Selbstzerfleischung zu verwechseln ist – Verwöhnlinge schaffen sich so den Grund für ihre Verweigerung –, wird durch die gegensätzlichen Absichten deutlich.
Wenn die Regel X + 1 im eigenen Leben einen festen Ankerplatz findet, wird vieles neu möglich. Gibt es Lücken im eigenen Reservoir der Fähigkeiten und Kräfte, werden diese möglichst schnell ausgeglichen. Wie ein umsichtiger Kapitän sorgt der Einzelne dafür, dass weder Fracht noch Schiff zu Schaden kommen und es auf Kurs bleibt. Wenn sich mal wieder die Verweigerung breitmacht, eine Belastung als zu groß eingeschätzt wird, Hürden als unüberwindbar erscheinen, eine eingefleischte Verwöhnhaltung sich in unterschiedlichsten Erwartungen an andere äußert: X + 1 heißt dann, einen ersten, zweiten und soundsovielten positiven Schritt gehen, der vorher vermieden wurde. Zu dieser Formel gehört aber
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