Die verzauberten Frauen
Straßenseite zwei parkende Autos. Einen Landrover und einen schwarzen Audi. Beide mit Koblenzer Kennzeichen.
Er ließ seinen Wagen stehen und ging zu Fuß in Richtung des Anwesens von Jane Porethe. Er sah, dass die Gartenpforte angelehnt war. Niemand war zu sehen oder zu hören. Im Haus glomm ein mattes Licht.
Mach schnell, mach schnell, rief jemand in seinem Inneren.
Aber einer anderen, warnenden inneren Stimme folgend, ging Velsmann an dem Anwesen vorbei bis zum Straßenende. Hier stand eine weitere Villa. Nicht verwunschen in einem verwilderten Garten, sondern hinter einer Buchsbaumhecke und umgeben von kurz geschnittenem Rasen. Ein ockerfarbener Bungalow.
Velsmann las den Namen der Bewohner. Er überlegte. Dann klingelte er.
»Ja?«, schnarrte es in der Gegensprechanlage.
»Bitte erschrecken Sie nicht. Es handelt sich nicht um Sie, sondern um Ihre Nachbarin, Frau Porethe. Ich bin Patient bei ihr und erreiche sie nicht. Das kommt mir komisch vor. Können Sie mir weiterhelfen?«
Es blieb still. Dann schnarrte der Öffner. Eine ältere Dame blickte ihm von der Haustür aus misstrauisch entgegen.
»Frau Chaplet? Verzeihen Sie. Aber es ist wichtig für mich.«
Velsmann ging langsam auf die Eingangsstufen zu.
»Guten Abend«, sagte Frau Chaplet. Ihre Stimme klang so gut gepflegt, wie die Frau selbst aussah. »Warum kommen Sie so spät am Abend? Frau Porethe hat jetzt keine Sprechzeiten mehr.«
»Frau Porethe kümmert sich um mein Gleichgewicht, auch außerhalb der Sprechstunde. Seit einiger Zeit verhält sie sich seltsam. Glauben Sie, dass ich ihr vertrauen kann?«
»Aber absolut!«, sagte die Dame in der Haustür und kam ihm einen Schritt entgegen.
»Ich habe Ihnen nicht alles gesagt, Frau Chaplet. Ich bin auch Polizist.« Velsmann zog seinen Beraterausweis hervor und zeigte ihn ihr.
»Ach so ist das!«
»Ja, verzeihen Sie. Aber ich bin tatsächlich auch Patient.«
»Dann hören Sie mal. Kümmern Sie sich um diese Frau. Sie bekommt in letzter Zeit merkwürdige Besuche. Männerbesuche, wenn Sie verstehen. Dabei ist sie, na ja, vom anderen Ufer, verstehen Sie? Sie hat ihre Ehe doch nur zum Schein geführt, aus Angst. Diese Kerls, die da aussteigen, die sehen allesamt nicht gerade vertrauenerweckend aus. Die beiden da, die jetzt angekommen sind und deren Autos vor dem Haus parken, die auch nicht. Und was der Junge bei Frau Porethe zu suchen hat, ist mir ein Rätsel. Patienten sind das allesamt nicht!«
»Wie sah der Junge aus?«
»Groß, schlank, braune Haare, schlaksiger Gang. So einer, dem die Jeans hinten runterhängen.«
»Gelbblaue Collegejacke?«
»Ja.«
Mein Gott, dachte Velsmann, Tibor!
»Ich mache mir echte Sorgen, Frau Chaplet. Irgendetwas im Haus von Frau Porethe ist ganz und gar nicht in Ordnung.«
»Ja, aber was?«
»Das zu erklären, habe ich leider keine Zeit. Wie kann ich in das Haus kommen, ohne dass man mich gleich sieht? Könnte ich hintenrum durch Ihren Garten gehen?«
»Aber ich kann Sie doch nicht …, ich kenne Sie ja gar nicht! – Doch, es gibt einen Hintereingang. Und es gibt sogar einen Verbindungsgang zwischen unseren Häusern.«
»So? Warum denn das?«
»Frau Porethe hatte Angst. Das hat sie mir ein paar Mal selbst erzählt. Wir haben nicht oft geredet, aber ein paar Mal eben doch. Wir sind ja Nachbarinnen, und außer uns wohnt in dieser Straße niemand.«
»Angst wovor?«
»Sie hatte oft Angst. Ich glaube – vor eben solchen Kerls, wie sie jetzt bei ihr sind.«
»Dann ist keine Zeit zu verlieren.«
»Sie bestand deshalb darauf, dass der Gang nicht verschüttet wird, wie wir es seit Jahren wollten – mein Mann und ich. Früher gehörten uns ja beide Häuser, und den Gang benutzten meine beiden Söhne zeitweilig als Kegelbahn. Aber als die Kinder auszogen und mein Mann verstarb, habe ich mich von dem anderen Haus getrennt. Frau Porethe kaufte es. Sie ist eine nette, ruhige, alleinstehende Frau mit sehr spirituellen Ansichten, die ich schätze.«
»Kann ich diesen Gang benutzen?«
Frau Chaplet musterte Velsmann von oben bis unten. »Sind Sie denn in der Lage, diese Situation zu meistern? Ich meine, verzeihen Sie, aber Sie sehen nicht durchtrainiert aus. Und wenn es zu einem Kampf kommen würde …«
Velsmann räusperte sich. »Ich bin fit.«
»Ich kann Ihnen doch vertrauen?«
»Ich lasse Ihnen ein Pfand hier, wenn Sie wollen. Meinen Ausweis, mein gesamtes Bargeld. Aber bitte, wir müssen uns beeilen.«
»Kommen Sie.«
Die ältere Dame ging
Weitere Kostenlose Bücher