Die verzauberten Frauen
Fundamentalisten um den Mönchsabt Armand-Jean Le Bouthillier de Rancé, ihnen gegenüber standen Frauen um den Gedankenkreis der Märtyrerin Marguerite Porete, die als Beginen bekannt wurden.
Velsmann selbst hatte für diese Erkenntnis das lebende Zeugnis des Klosters Eberbach gebraucht. Aber sein Sohn Tibor hatte das auf seine Weise, kraft seiner Intelligenz, mit dem Computer, herausgefunden.
Tibor!
Bevor Velsmann Stolz empfinden konnte, schlug ein Gedanke auf dieses Gefühl wie der Hammer des unbarmherzigen Heeresmannes .
Armand und Marguerite würden erneut zusammentreffen. So wie sie in den Jahrhunderten in unterschiedlicher Gestalt und mit unterschiedlichen Gefolgsleuten immer wieder aufeinandergetroffen waren. Velsmann blickte auf die Steinmetzarbeiten zu beiden Seiten des Kreuzgangs. Wie Feuer und Wasser als Prinzipien der Schöpfung und der Vernichtung. Wie Lebensliebe und Lebenshass. Unversöhnlich. Und Tibor, der dieses Treffen in einem virtuellen Kreuzworträtsel gesehen hatte, würde bei dieser Begegnung dabei sein.
Als Stifter, als Vermittler.
Oder als Opfer.
Velsmann wagte nicht, sich das vorzustellen. Aber es stand ihm jetzt klar vor Augen, wo dieses Treffen stattfinden musste. Und was er auf der Stelle zu tun hatte.
Als Tibor aus der Bewusstlosigkeit erwachte, hörte er Schläge. Und eine Stimme. Er kam nur langsam zur Besinnung und begriff, wo er war.
Die Situation hatte sich verändert.
Er selbst lag flach auf dem Bauch. Der Unbekannte hatte ein Möbelstück über ihn gezogen, ein Sitzmöbel. Tibor konnte sich nicht rühren. Der Mann, der mit ihm eingetreten war, lag wohl auf dieser Couch, Tibor erblickte eine schlaffe Hand, die herunterhing. Der Rasende stand gebückt vor der wieder auf dem Stuhl sitzenden Frau. Ihr Gesicht war blutverschmiert. Seine Hand war blutverschmiert. Er schlug sie. Im Klatschen seiner Schläge war seine unnatürlich verzerrte Stimme zu hören.
»Dein Gott ist ein Troubadour? Ein Troubadour? So wirst du ausgelöscht! Ich habe deinen Keller gesehen! Großartig! Exzellent! Wir können gleich beginnen! Dein Gott ist ein Troubadour?«
Tibor war klar, dass dieser Mann verrückt war, völlig durchgeknallt, ein Maniac. Wahrscheinlich hielt er sich für einen Racheengel, der auf die Welt gefallen war.
Tibor versuchte angestrengt eine Lösung für seine Lage zu finden. Aber er war ausgeschaltet, unbeweglich, schachmatt.
Die Frau hob so langsam den Kopf, dass Tibor die Sekunden tropfen hörte. Wieder bewegte sie ihre Lippen, das konnte Tibor sehen. Er hatte Mitleid mit ihr. Sie war natürlich Jane Porethe, die Hausherrin, die Therapeutin seines Vaters. Und ihr Gegenüber musste de Rancé sein. Mein Gott, dachte er, mach es möglich, dass Vater diese Spur aufnimmt!
»Fünf Stufen zu Gott, sagst du? Auf den ersten vier ist die Seele damit beschäftigt, ein asketisches Leben zu führen? Großartig, exzellent! Warum bleibst du nicht dabei! Warum, zum Teufel, bleibst du nicht dabei!!«
Die Stimme des Maniacs überschlug sich ein ums andere Mal. Er hieb auf die Frau ein. Dann stützte er seine Arme auf seinen angewinkelten Knien ab und näherte sein Gesicht dem seines Opfers.
»Aber nein. Ihr müsst ja auf die fünfte Stufe steigen. Und herausfinden, dass wir nichts, ja, ein Abgrund des Nichts sind. Und Gott die lautere Güte. Nicht wahr? Ist es nicht so? Und dann beginnt ihr zu lieben, wie? Auf der sechsten Stufe? Zu lieben? Und Gott spiegelt sich in eurer Seele? Dieser Seele aus Dreck?«
Er begann zu lachen, sein Lachen steigerte sich zu einem irren Falsett. Tibor spürte, wie kalte Schauer über seinen Rücken jagten.
»Und ihr glaubt das? Ihr glaubt tatsächlich, eure jämmerlichen Erkenntnisse seien Öffnungen, die sich wie Blitze ereignen? Und nun erschiene der, den ihr den Fernnahen nennt, den Fernnahen , der sich mit euch beschäftigt? Der euch berührt – überall! Was? Überall! Und ihr seid willenlos, und er ist in euch. Und ihr geratet in Ekstase durch die göttliche Liebe eures Fernnahen , mehr nah als fern, den ihr auch Jesus nennt, und der euch betatscht! Ihr vereint euch mit ihm? Und ihr vergesst darüber den schuldigen Gehorsam gegenüber uns? Das ist e-kel-haft!!!«
Tibor schloss die Augen. Er hörte das Klatschen weiterer Schläge. Er war in einer realen Hölle gelandet.
Er begann, seine jämmerliche Lage zu akzeptieren. Er war nichts als ein hilfloser Zuschauer in einer blutigen Posse. In einem antiken Schauspiel.
Oh Vater!, dachte Tibor. Er
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