Die verzauberten Frauen
voraus ins Haus hinein, sie nahm einen Schlüssel vom Brett und steuerte energisch auf den Kellereingang zu. Velsmann folgte ihr. Sie gingen die Kellertreppe hinab, unten schloss sie eine Metalltür auf, die brandsicher war, dabei musste sie einige Kraft aufwenden. Das Schloss schien lange nicht mehr benutzt worden zu sein.
»Da hinein. Ich komme nicht mit. – Warten Sie! Ich hole eine Taschenlampe.«
Velsmann spähte ins Dunkel. Der Gang musste ungefähr dreißig Meter lang sein. Eine ausgezeichnete Kegelbahn für Spinnen und Mäuse. Es roch muffig.
Frau Chaplet kam zurück. »Nehmen sie die Lampe. Am Ende des Ganges gibt es wieder eine solche Tür. Dieser Schlüssel hier passt – wenn Frau Porethe nicht ihren von innen hat stecken lassen.«
Velsmann hob die Hand zum Dank und betrat den Gang. Am anderen Ende stand er vor der Verbindungstür. Er lauschte. Nichts war zu hören.
Er steckte den zweiten Schlüssel ins Schloss. Nach einigem Bemühen drehte er sich. Velsmann hielt den Atem an. Die Tür öffnete sich. Velsmann schob sie sachte auf, um jedes verräterische Knarren zu vermeiden.
Vor ihm lag das Kellergewölbe. Er ließ die Tür geöffnet und ging möglichst lautlos die Treppe hoch. Oben angelangt, drückte er die Klinke nieder. Auch diese Tür öffnete sich. Velsmann schlüpfte hindurch. Das Vestibül war spärlich möbliert. Hinter einer Tür gegenüber hörte er leise Stimmen.
Es ist der perfekte Ort, dachte Velsmann. Das Zimmer, in dem alles zusammenkommt. Menschen, Ideen, Hass und Liebe, Jahrhunderte. Hier endet etwas, und ich bete, dass daraus etwas Neues, Besseres entsteht. Und dass Tibor nichts geschehen ist.
Velsmann wusste, dass es bei dem, was er jetzt vorhatte, um Sekunden ging. Wenn er die Situation richtig einschätzte, befanden sich dort drin vier Menschen. Jane Porethe, zwei Unbekannte und sein Sohn. Nach allem, was er bisher wusste, würde er es mit den beiden Männern zu tun bekommen. Und das waren keine Friedensapostel.
Velsmann brach Schweiß aus. Er hatte keine Dienstpistole mehr zur Verfügung.
Er bückte sich und blickte durch das Schlüsselloch.
Zuerst sah er gar nichts. Eine schwarze Wand. Dann begriff er, dass er auf den Rücken eines Menschen starrte. Jetzt bewegte sich die schwarze Wand. Ein Mann, den er nicht kannte, ging zu einem Sofa. Und Velsmanns Herz blieb stehen. Unter dem Sofa erblickte er seinen Sohn. Tibor lag flach ausgestreckt und bewegungslos da. Mein Gott, dachte Velsmann …
Der Unbekannte setzte sich auf das Sofa. Er stellte einen Fuß auf Tibors seitlich verdrehten Kopf und blieb so sitzen.
Viel mehr konnte Velsmann nicht sehen. Am linken Rand seines eingeschränkten Blickfeldes erkannte er Stuhlbeine, auf dem Stuhl musste jemand sitzen, dessen Hand er sah. Der Arm hing schlaff herunter.
Aber jetzt verstand er Sätze.
»Du wolltest es für dich behalten, Kanaille. Du glaubtest wirklich, dir das leisten zu können?«
Die Hand, die er sah, zuckte.
»Scheißkerl!«, sagte eine schlürfende Stimme.
Velsmann war sicher, dass sie Mark Sennsler gehörte.
»Gegen uns? Gegen deine eigenen Leute? Du wolltest uns reinlegen?«
»Scheißkerl!«, wiederholte Sennsler.
»Na, das ist jetzt egal«, sagte der Unbekannte. »Du hast ja gesehen, wie ich den Spieß umdrehen kann. Du hättest wissen müssen, dass du gegen mich keine Chance hast, denn ich kämpfe mit anderen Mitteln. Jetzt machen wir den Sack zu.«
Velsmann hörte, wie Tibor stöhnte. Er malte sich das Szenario aus. Der Unbekannte sah kräftig aus. Er würde sehr schnell sein und war sicher bewaffnet. Sennsler war wahrscheinlich auf seinem Stuhl gefesselt. Von Porethe war nichts zu sehen.
Velsmann hatte es also nur mit einem Gegner zu tun.
Und er hätte auch gehandelt, wenn es zehn gewesen wären. Sein Sohn befand sich in Lebensgefahr!
Martin Velsmann holte tief Luft, stieß mit einem heftigen Ruck die Tür auf und rannte ins Zimmer.
Genau in diesem Moment zog der Unbekannte mit einer schnellen Bewegung einen Revolver mit langem Schalldämpfer aus der Achsel. Er legte auf Sennsler an.
Als Velsmann hereinstürmte, wirbelte der Bewaffnete herum. Er richtete die Waffe auf ihn.
»Halt! Stehenbleiben! Wen haben wir denn da?«
Tibor gab einen gurgelnden Laut von sich.
Velsmann erblickte Sennsler und Porethe, gefesselt auf ihren Stühlen. Er sah aus den Augenwinkeln sehr viel Blut.
»Es gibt noch einen freien Stuhl«, sagte der Unbekannte und wedelte mit der Waffe. Velsmann erkannte in
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