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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Meisterschaft in der Western Division, Dezember 1961.« Da waren Bart Starr, Paul Hornung und Trainer Lombardi - der Trainer mit einer Flasche Pepsi in der Hand. Jim Taylor blutete aus einer Platzwunde auf dem Nasenrücken. Wallingford erkannte die Spieler nicht, aber er konnte sich mit Taylor identifizieren, dem mehrere Schneidezähne fehlten. Wer waren Jerry Kramer und Fuzzy Thurston, und was war der »Packer Sweep«? Wer war der drecküberkrustete Kerl da? (Es war Forrest Gregg.) Oder Ray Nitschke, schlammbeschmiert, glatzköpfig, benommen und blutend; bei einem Spiel in San Francisco auf einer Bank sitzend, hielt Nitschke seinen Helm wie einen Stein in den Händen. Wer sind diese Leute, oder wer waren sie? fragte sich Wallingford. Da war das berühmte Foto von den Fans bei der Ice Bowl - Lambeau Field, 31. Dezember 1967. Sie waren wie für die Arktis oder die Antarktis gekleidet, ihr Atem verschleierte ihre Gesichter in der Kälte. Bestimmt waren einige Clausens darunter.
    Niemals würde Wallingford erfahren, was dieses Knäuel von Körpern zu bedeuten hatte oder wie die Dallas Cowboys sich gefühlt haben mußten, als sie Bart Starr in der Endzone liegen sahen; nicht einmal seine Mannschaftskameraden hatten geahnt, daß Starr einen Quarterback-Sneak von der 1-Yard-Linie aus improvisieren würde. Wie jeder Clausen wußte, hatte der Quarterback beim Huddle gerufen: »Brown rechts. Einunddreißiger Keil.« Das Ergebnis war Sportgeschichte - nur kannte Wallingford diese Geschichte nicht.
    Wie wenig er Mrs. Clausens Welt kannte, gab Patrick zu denken. Dann waren da noch die privaten, aber unscharfen Fotos, die Außenstehenden erläutert werden mußten. Doris erklärte sie ihm. Der massige Felsblock im Kielwasser des Motorboots - das war ein Schwarzbär, den man eines Sommers dabei beobachtet hatte, wie er im See herumschwamm. Die verschwommene Form, die der Zeitrafferaufnahme einer irrtümlich zwischen den Nadelbäumen grasenden Kuh glich, war ein Elch auf dem Weg zu dem Sumpf, der sich laut Mrs. Clausen »keine Viertelmeile von hier« befand. Und so weiter... die Konfrontationen mit der Natur und die Verbrechen an ihr, die hiesigen Siege und die besonderen Anlässe, die Green Bay Packers, die Geburten innerhalb der Familie, die Hunde und die Hochzeiten.
    Wallingford nahm, so rasch er konnte, das Hochzeitsfoto von Otto senior und Mrs. Clausen zur Kenntnis. Sie schnitten gerade die Torte an; Ottos kräftige linke Hand bedeckte die kleinere von Doris, die das Messer hielt. Beim Anblick von Ottos Hand verspürte Patrick ein leises Gefühl von Vertrautheit, obwohl er sie noch nie mit Ehering gesehen hatte. Was, fragte er sich, hatte Mrs. Clausen mit Ottos Ring gemacht? Und was mit ihrem?
    Ganz vorn bei den Gratulanten, die die Anschneidezeremonie umstanden, war ein kleiner Junge mit einem Teller und einer Kuchengabel zu sehen. Er war neun oder zehn; weil er wie die anderen Gäste der Hochzeitsfeier formell gekleidet war, nahm Patrick an, daß es sich um den Ringträger handelte. Er erkannte den Jungen nicht, aber da dieser mittlerweile sicher ein junger Mann war, hatte Patrick ihn möglicherweise kennengelernt. (Angesichts seines runden Gesichts und seiner entschlossenen Fröhlichkeit war er aller Wahrscheinlichkeit nach ein Clausen.)
    Neben dem Jungen stand, an ihrer Unterlippe kauend, die Brautjungfer, eine hübsche junge Frau, die den Eindruck machte, als ließe sie sich leicht ablenken und oft von Launen beeinflussen. Wie Angie vielleicht? Patrick wußte auf einen Blick, daß er ihr noch nie begegnet war; daß sie dem Typ Frau entsprach, mit dem er sich auskannte, wußte er ebenfalls. Sie war nicht so nett wie Angie. Dereinst mochte die Brautjungfer vielleicht Doris' beste Freundin gewesen sein. Es konnte sich aber auch um eine Konzessionsentscheidung gehandelt haben; möglicherweise war die eigenwillig wirkende junge Frau Otto Seniors kleine Schwester. Und ob sie und Doris nun Freundinnen gewesen waren oder nicht, Patrick bezweifelte, daß die Freundschaft gehalten hatte. Was die Zimmerverteilung anging, so klärte sich diese Frage bei Wallingfords erstem Blick in die beiden fertiggestellten Räume über dem Bootshaus. Doris hatte das Kinderreisebett in dem Zimmer mit den Einzelbetten aufgestellt, von denen sie eines bereits zum Wickeltisch umfunktioniert hatte - Windeln und Kleidung des kleinen Otto waren darauf zurechtgelegt. Sie selbst, so Mrs. Clausen, werde in dem anderen Einzelbett schlafen, so daß Wallingford

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