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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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der Haupthütte zu benutzen und sich an dem Waschbecken dort die Zähne zu putzen. Wenn er in der Nacht aufstehen und pinkeln müsse, könne er mit einer Taschenlampe nach draußen gehen, aber er solle sich beeilen. »Sieh zu, daß du zum Bootshaus zurückkommst, bevor die Moskitos dich finden«, mahnte Mrs. Clausen. Mit ihrer Kamera machte Patrick ein Bild von Doris und Otto junior auf dem Sonnendeck der Haupthütte.
    Die Erwachsenen grillten sich zum Abendessen ein Steak, das sie mit Erbsen und Reis aßen. Mrs. Clausen hatte zwei Flaschen Rotwein mitgebracht - sie tranken nur eine. Während Doris das Geschirr spülte, ging Patrick mit ihrer Kamera zum Landesteg hinunter und machte zwei Bilder von Badeanzug und Badehose, die nebeneinander an der Wäscheleine hingen.
    Daß sie miteinander gegessen hatten, während Doris nur ihren alten Bademantel und er nur ein Handtuch um die Hüften trug, erschien ihm wie das Nonplusultra an Intimität und häuslichem Frieden. So hatte er noch nie gelebt, mit niemandem.
    Als sie zum Bootshaus zurückgingen, nahm sich Wallingford noch ein Bier mit. Während sie sich den mit Kiefernnadeln bedeckten Pfad entlangbewegten, bemerkten sie, daß der Westwind sich gelegt hatte und der See vollkommen still dalag; noch beschien die untergehende Sonne die Wipfel am Ostufer. In der Windstille schwärmten schon die Moskitos - sie hatten nicht bis zum Einbruch der Dunkelheit gewartet. Händewedelnd scheuchten Patrick und Doris sie weg, während sie den kleinen Otto und die Babyutensilien in die Wohnung über dem Bootshaus trugen. Von seinem Zimmerfenster aus verfolgte Patrick das Hereinbrechen der Dunkelheit und lauschte dabei Mrs. Clausen, die im Zimmer nebenan Otto junior zu Bett brachte. Sie sang ihm ein Kinderlied. Patricks Fenster waren offen; er konnte die Moskitos gegen die Fliegengitter summen hören. Die einzigen anderen Geräusche kamen von den Seetauchern und von einem über den See tuckernden Außenborder. Daneben konnte er leise Stimmen hören. Vielleicht waren es heimkehrende Angler oder Teenager. Dann, weit weg, legte der Außenborder an, und Mrs. Clausen sang dem kleinen Otto nicht mehr vor; im anderen Zimmer war es still. Nun waren, von den Moskitos abgesehen, nur noch die Seetaucher und ab und zu eine Ente zu hören.
    Wallingford verspürte eine Abgeschiedenheit, die er noch nie erlebt hatte, dabei war es noch gar nicht ganz dunkel. Noch immer in das Handtuch gewickelt, lag er auf dem Bett und ließ es im Zimmer dunkler werden. Er versuchte sich die Fotos vorzustellen, die Doris einmal an der Wand auf ihrer Seite des Bettes befestigt hatte.
    Er war fest eingeschlafen, als Mrs. Clausen mit der Taschenlampe kam und ihn weckte. In ihrem alten weißen Bademantel stand sie, das Licht auf sich selbst gerichtet, wie ein Gespenst am Fußende des Bettes. Sie machte die Lampe immer wieder an und aus, als wolle sie ihm klarmachen, wie dunkel es war, obwohl fast Vollmond herrschte. »Na los«, flüsterte sie. »Gehen wir schwimmen. Im Dunkeln brauchen wir keine Badesachen. Nimm einfach dein Handtuch mit.« Sie ging auf den Flur hinaus, nahm ihn bei der Hand und führte ihn, die Taschenlampe auf ihre nackten Füße gerichtet, die Treppe hinunter. Mit seinem Stumpf bemühte sich Patrick unbeholfen, das Handtuch um seine Hüfte festzuhalten. Im Bootshaus war es stockdunkel. Dons führte ihn die Laufplanke entlang auf den schmalen Steg zwischen den vermurten Booten. Sie leuchtete mit der Taschenlampe voraus, deren Strahl auf die Leiter am Ende des Stegs fiel.
    Also diente die Leiter dazu, nachts ins Wasser zu steigen. Patrick wurde eingeladen, an einem Ritual teilzunehmen, das Mrs. Clausen mit ihrem verstorbenen Mann vollzogen hatte. Der vorsichtige Gänsemarsch über den schmalen, dunklen Steg erschien ihm wie ein heiliges Zeremoniell. Der Strahl der Taschenlampe fing eine große Spinne ein, die über eine Bootsleine wuselte. Sie erschreckte Wallingford, nicht aber Mrs. Clausen. »Das ist bloß eine Spinne«, sagte sie. »Ich mag Spinnen. Sie sind so fleißig.«
    Sie mag also Fleiß und Spinnen, dachte Patrick. Er ärgerte sich darüber, daß er Klein Stuart anstelle von Wilbur und Charlotte mitgenommen hatte. Vielleicht würde er Doris gar nichts davon sagen, daß er das blöde Buch mitgebracht, geschweige denn sich vorgestellt hatte, erst ihr und dann dem kleinen Otto daraus vorzulesen.
    Bei der Leiter zog Mrs. Clausen ihren Bademantel aus. Sie hatte eindeutig einige Übung darin, die

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