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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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das zweite Zimmer über dem Bootshaus blieb; das eins fünfzig breite Bett darin wirkte in dem schmalen Raum größer.
    Während Patrick seine Sachen auspackte, bemerkte er, daß das Bett auf der linken Seite ganz an die Wand gerückt war - auf dieser Seite hatte wohl Otto senior geschlafen. Schmal, wie das Zimmer war, kam man nur von Doris' Seite aus ins Bett, und auch das nur unter Verrenkungen. Vielleicht war Otto senior vom Fußende aus hineingestiegen. Die Wände bestanden aus dem gleichen groben Kiefernholz wie das Innere der Haupthütte, obwohl die Bretter hier heller, beinahe blond waren - bis auf ein großes Rechteck neben der Tür, wo vielleicht ein Bild oder ein Spiegel gehangen hatte. Fast überall sonst hatte Sonnenlicht die Wände gebleicht. Was hatte Mrs. Clausen abgehängt? Über Otto seniors Bettseite waren mit Reißnägeln verschiedene Fotos von der Instandsetzung der Zimmer über dem Bootshaus aufgehängt. Da war Otto senior, ohne Hemd, gebräunt und muskulös. (Sein Zimmermannsgürtel erinnerte Patrick an den Werkzeuggürtel, den man Monika mit k im Zirkus in Junagadh gestohlen hatte.) Außerdem gab es ein Foto von Doris in einem einteiligen Badeanzug - ein lila Kleidungsstück, konservativ geschnitten. Sie hatte die Arme vor den Brüsten gekreuzt, was Wallingford traurig machte; er hätte gern mehr von ihren Brüsten gesehen.
    Auf dem Foto stand Mrs. Clausen auf dem Bootssteg und sah Otto senior bei der Arbeit mit einer Tischsäge zu. Da es in dem Cottage am See keine Elektriziät gab, hatte wohl der Benzingenerator auf dem Bootssteg den Strom geliefert. Die dunkle Pfütze zu Doris' nackten Füßen ließ vermuten, daß ihr Badeanzug naß war. Durchaus möglich, daß sie die Arme um sich geschlagen hatte, weil ihr kalt war.
    Als Wallingford die Zimmertür schloß, um sich seine Badehose anzuziehen, sah er, daß ebendieser einteilige lila Badeanzug an einem Nagel hinter der Tür hing. Er konnte der Versuchung, ihn zu berühren, nicht widerstehen. Der lila Badeanzug war häufig im Wasser und an der Sonne gewesen; daß ihm auch nur eine Spur von Doris' Duft anhaftete, war zweifelhaft, obwohl Wallingford ihn sich vors Gesicht hielt und sich einbildete, er könne sie riechen.
    In Wirklichkeit roch der Badeanzug eher nach Lycra, nach dem See und nach dem Holz des Bootshauses; doch Patrick umklammerte ihn so fest, wie er auch Mrs. Clausen festgehalten hätte - wäre sie naß gewesen und hätte vor Kälte gezittert, während sie beide sich zusammen die nassen Badesachen auszogen.
    Ein wirklich erbärmliches Verhalten angesichts eines rein funktionalen, mancher würde auch sagen altmodischen, einteiligen Badeanzugs ohne Dekollete und mit auf dem Rücken gekreuzten Trägern. Der eingearbeitete Stütz-BH mit dünnen, weichen Körbchen war eine sinnvolle Wahl für eine Frau mit großen Brüsten, aber schmalem Brustkorb, wie Doris eine war.
    Wallingford hängte den lila Badeanzug wieder an den Nagel hinter der Zimmertür; wie sie es getan hatte, hängte er ihn an den Trägern auf. Daneben, an einem zweiten Nagel, hing das einzige andere Kleidungsstück von Mrs. Clausen in diesem Zimmer - ein früher einmal weißer und mittlerweile etwas angeschmutzter Frotteebademantel. Daß dieses unerregende Kleidungsstück ihn erregte, war peinlich. Auf der Suche nach Doris' Unterwäsche zog er so leise wie möglich die Kommodenschubladen heraus. Aber die unterste Schublade enthielt nur Laken, Kissenbezüge und eine zusätzliche Decke; die mittlere war voller Handtücher. In der obersten klapperten geräuschvoll Kerzen, Taschenlampenbatterien, mehrere Schachteln Streichhölzer, eine zusätzliche Taschenlampe und eine Schachtel Reißnägel.
    In den groben Kiefernholzbrettern über Mrs. Clausens Bettseite bemerkte Patrick kleine, von Reißnägeln stammende Löcher. Sie hatte einmal Fotos hier aufgehängt, und zwar ein Dutzend. Wovon oder von wem, konnte Patrick nur vermuten. Warum Doris die Fotos offenbar abgehängt hatte, war ebenso unklar.
    Gerade als Patrick sich, wie schon vor langer Zeit gelernt, mit der rechten Hand und den Zähnen die Schnüre seiner Badehose band, klopfte es an der Tür. Mrs. Clausen wollte ihren Badeanzug und den Frotteebademantel; ohne zu wissen, daß er es bereits wußte, sagte sie Wallingford, in welcher Schublade die Handtücher waren, und bat ihn, drei zum Landesteg mitzubringen.
    Als sie sich umgezogen hatte, trafen sie sich in dem schmalen Flur und stiegen die steile Treppe ins Erdgeschoß des

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