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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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auf den schlafenden Otto junior gerichtet. Der offene Mund des Kindes rief nach einer Geschichte; deshalb begann Wallingford eine zu erzählen. Mit ihr zu beginnen war falsch, aber er war Journalist - ein Faktenmensch, kein Geschichtenerzähler.
    Er tat genau das, was er seinem Berufsstand vorwarf - er ließ den Kontext weg! Er hätte mit Boston beginnen müssen, mit seiner Reise zu Dr. Zajac wegen der Schmerzen und wegen des Gefühls wie von krabbelnden Insekten an der Stelle, wo Otto seniors Hand gewesen war. Er hätte Mrs. Clausen von der Begegnung mit der Frau im ›Charles‹ erzählen müssen - wie sie einander nackt E. B. White vorgelesen, aber nicht miteinander geschlafen hatten; wie er die ganze Zeit an Mrs. Clausen gedacht hatte. Doch, wirklich!
    All das gehörte zu dem Kontext, innerhalb dessen er sich Mary Shanahans Wunsch, ein Kind von ihm zu bekommen, gefügt hatte. Vielleicht wäre es mit Doris Clausen etwas besser gelaufen, wenn Patrick mit Boston begonnen hätte, und noch besser wäre es gewesen, er hätte mit Japan begonnen - wie er Mary, damals eine junge, verheiratete Frau, die schwanger war, gebeten hatte, mit ihm nach Tokio zu fliegen; welche Schuldgefühle er deswegen gehabt und wie lange er ihr widerstanden hatte; welche Mühe er sich gegeben hatte, »einfach nur ihr Freund« zu sein.
    Denn gehörte es nicht auch zum Kontext, daß er schließlich doch, ohne jeden Pferdefuß, mit Mary Shanahan geschlafen hatte? War er denn nicht gerade dadurch »einfach nur ihr Freund«, daß er ihr gab, was sie nach ihren eigenen Worten wollte? Bloß ein Kind, sonst nichts. Daß Mary auch seine Wohnung oder vielleicht bei ihm einziehen wollte, daß sie außerdem seinen Job wollte und die ganze Zeit gewußt hatte, daß sie demnächst sein Boß sein würde ... Scheiße auch, das war überraschend gekommen! Aber wie hätte er es voraussehen können? Durfte Patrick denn nicht annehmen, daß, wenn überhaupt, Doris Clausen Verständnis für den Wunsch einer anderen Frau haben müßte, ein Kind von Patrick Wallingford zu bekommen? Nein, das durfte er nicht! Wie konnte sie auch Verständnis haben angesichts der läppischen Art, wie Wallingford die Geschichte erzählte?
    Er hatte sich einfach mitten hineingestürzt. Er erzählte ungekünstelt in des Wortes schlimmster Bedeutung - nämlich einfältig und plump. Er begann mit einem Satz, der auf eine Beichte hinauslief: »Ich sehe das eigentlich nicht als Beispiel dafür, warum ich vielleicht Schwierigkeiten haben könnte, eine monogame Beziehung aufrechtzuerhalten, aber es ist nicht ganz leicht zu verkraften.«
    Was für eine Art, einen Heiratsantrag einzuleiten! War es ein Wunder, daß Doris die Hand wegzog und sich ihm zuwandte, um ihn anzusehen? Wallingford, der aufgrund seines törichten Prologs spürte, daß er schon jetzt in Schwierigkeiten war, konnte sie nicht ansehen, während er sprach. Er starrte statt dessen ihren schlafenden Sohn an, als könnte Otto Juniors Unschuld dazu dienen, Mrs. Clausen vor allem zu beschirmen, was an seinem Verhältnis mit Mary Shanahan sexuell verderbt und moralisch verwerflich war.
    Mrs. Clausen war entsetzt. Ausnahmsweise sah sie einmal nicht ihren Sohn an. Sie konnte den Blick nicht von Wallingfords gutaussehendem Profil abwenden, während er unbeholfen in allen Einzelheiten von seinem schändlichen Verhalten berichtete. Mittlerweile stammelte er, teils aus Nervosität, teils weil er befürchtete, daß der Eindruck, den er auf Doris machte, das Gegenteil dessen war, was er beabsichtigt hatte. Was hatte er sich eigentlich gedacht? Was für ein heilloses Durcheinander es gäbe, wenn Mary Shanahan ein Kind von ihm erwartete! Immer noch unter Bekenntniszwang hob er das Handtuch, um Mrs. Clausen den blauen Fleck an seinem Schienbein zu zeigen, den er sich an der Glasplatte des Tisches in Marys Wohnung geholt hatte; er zeigte ihr auch die Verbrennung von dem Heißwasserhahn in Marys Dusche. Daß sein Rücken zerkratzt war, hatte sie bereits bemerkt. Und der Liebesbiß an seiner linken Schulter war ihr ebenfalls nicht entgangen. »Och, das war nicht Mary«, bekannte Wallingford. Das war nicht das Geschickteste, was er hätte sagen können. »Mit wem warst du denn noch zusammen?« fragte Doris. Die Sache lief nicht so, wie er gehofft hatte. Aber wieviel tiefer konnte er sich eigentlich noch hineinreiten, wenn er Mrs. Clausen von Angie erzählte? Angies Geschichte war jedenfalls einfacher. »Mit der Maskenbildnerin, aber nur für eine

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