Die vierte Hand
Taschenlampe so auf den Bademantel zu legen, daß ihr Strahl auf den See hinaus zeigte. Er würde ihnen als Leuchtfeuer dienen, zu dem sie zurückschwimmen konnten. Wallingford legte sein Handtuch ab und stand nackt neben ihr. Sie ließ ihm keine Zeit, darüber nachzudenken, ob er sie berühren sollte; rasch stieg sie die Leiter hinab und ließ sich, fast ohne dabei ein Geräusch zu machen, ins Wasser gleiten. Er folgte ihr, aber nicht so anmutig und geräuschlos, wie sie es geschafft hatte. (Man versuche einmal, mit einer Hand eine Leiter hinunterzuklettern.) Er konnte sich lediglich mit der linken Armbeuge am Holm festklammern; den größten Teil der Arbeit übernahmen seine rechte Hand und sein rechter Arm.! Sie schwammen dicht hintereinander. Mrs. Clausen achtete darauf, nicht zu weit vorauszuschwimmen, oder sie trat Wasser oder ließ sich treiben, bis er sie eingeholt hatte. Sie schwammen am tiefen Ende des großen, im Freien liegenden Stegs vorbei auf den See hinaus, von wo sie die dunkle Silhouette der unbeleuchteten Haupthütte und der kleineren Nebengebäude sehen konnten; die rudimentären Gebäude glichen einer aufgegebenen Kolonie in der Wildnis. Die Sommerhäuser am anderen Ufer des mondüberglänzten Sees waren ebenfalls unbeleuchtet. Die Bewohner gingen früh zu Bett und standen mit der Sonne auf. Außer der Taschenlampe, die von dem Steg im Bootshaus aus auf den See gerichtet war, sah man noch ein anderes Licht - im Zimmer von Otto junior. Doris hatte die Gaslampe brennen lassen, falls das Kind aufwachte; sie wollte nicht, daß ihm die Dunkelheit angst machte. Bei offenen Fenstern war sie sich sicher, daß sie das Baby hören würde, falls es aufwachte und schrie. Übers Wasser pflanzen sich Geräusche sehr deutlich fort, besonders nachts, erklärte Mrs. Clausen. Sie konnte beim Schwimmen mühelos reden - es hörte sich nicht ein einziges Mal so an, als wäre sie außer Atem. Sie redete und redete, erklärte ihm alles. Daß sie und Otto senior nachts niemals von dem großen Steg im Freien aus hatten schwimmen können, weil die anderen Clausens (in den anderen Hütten) sie gehört hätten. Doch dann hatten sie festgestellt, daß man vom Inneren des Bootshauses aus unbemerkt ins Wasser gelangen konnte.
Wallingford konnte die Gespenster ausgelassener, lebenslustiger Clausens hören, die immer wieder an den Bierkühlschrank gingen - das Klappern eines Fliegengitters und wie jemand rief: »Laß keine Moskitos rein!« Oder eine Frauenstimme: »Der Hund ist patschnaß!« Und die Stimme eines Kindes: »Das war Onkel Donny.«
Dann kam einer der Hunde ans Ufer und verbellte wie unsinnig Mrs. Clausen und Otto senior, die nackt und unentdeckt - außer von dem Hund - im See badeten. »Knall doch mal einer diesen Köter ab!« rief eine wütende Stimme. Dann sagte jemand anders: »Vielleicht ist es ein Otter oder ein Nerz.« Und ein dritter, der gerade den Bierkühlschrank auf- oder zumachte, meinte: »Nein, das ist bloß dieser hirnlose Hund. Der verbellt alles oder gar nichts.«
Wallingford war sich nicht sicher, ob tatsächlich er nackt mit Mrs. Clausen badete oder ob sie bloß keinen Schlaf fand und ihre nächtlichen Bäder mit Otto senior noch einmal durchlebte. Patrick schwamm gern neben ihr her, trotz der Melancholie, die damit offensichtlich verbunden war.
Als die Moskitos sie aufspürten, schwammen sie ein kurzes Stück unter Wasser, aber Mrs. Clausen wollte zum Bootshaus zurück. Wenn sie auch nur kurz unter Wasser schwammen, würden sie das Baby nicht hören, falls es schrie, oder bemerken, ob das Gaslicht flackerte. Am nördlichen Nachthimmel leuchteten der Mond und die Sterne; man hörte den Ruf eines Seetauchers, und nahebei tauchte ein zweiter. Ganz kurz meinten die Schwimmenden, ein paar Liedfetzen zu hören. Vielleicht lief irgendwo in einem der dunklen Cottages am anderen Ufer ein Radio, aber sie glaubten nicht, daß es ein Radio war. Der Song, den sie beide kannten, beschäftigte sie in diesem Moment gleichzeitig. Es war ein Schlager über die Sehnsucht, und Mrs. Clausen vermißte offensichtlich ihren verstorbenen Mann. Patrick vermißte Mrs. Clausen, obwohl er immer nur in seiner Phantasie mit ihr zusammengewesen war.
Sie kletterte als erste die Leiter hoch. Wasser tretend, sah er ihre Silhouette - die Taschenlampe strahlte sie von hinten an. Rasch schlüpfte sie in ihren Bademantel, während er einhändig die Leiter hinaufkraxelte. Sie leuchtete den Steg an, so daß er sein Handtuch sehen
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