Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Stuart mit seinen enttäuschten Träumen und seinem zerstörten Boot allein zurück«.
    Patrick hatte einmal gedacht, Doris würde die Stelle gefallen - mittlerweile war er sich nicht mehr so sicher. Er beschloß, auf das letzte Kapitel, »Unterwegs nach Norden«, vorzugreifen und daraus nur die Stelle mit Stuarts philosophischem Gespräch mit dem Arbeiter vorzulesen. Zuerst sprechen sie über den Vogel, nach dem Stuart sucht. Der Arbeiter bittet Stuart, den Vogel zu beschreiben, dann notiert er sich die Beschreibung. Während Wallingford die Stelle las, lag Mrs. Clausen auf der Seite und betrachtete ihn und ihren Sohn. Otto, der seiner Mutter nur ab und zu einen Blick zuwarf, schien seinem Vater aufmerksam zuzuhören. Da Mutter und Vater ihm greifbar nahe waren, bekam das Kind genügend Aufmerksamkeit.
    Dann kam Patrick zu dem Moment, wo der Arbeiter Stuart fragt, in welche Richtung er fährt. Wallingford las diese Stelle mit besonderer Wehmut.
    »Nach Norden«, antwortete Klein Stuart.
    »Der Norden ist schön«, sagte der Arbeiter. »Ich bin immer gern nach Norden gefahren. Aber der Südwesten ist auch nicht schlecht.«
    »Vermutlich haben Sie recht«, meinte Klein Stuart nachdenklich. »Und dort ist Osten«, fuhr der Mann fort, »auf einer Fahrt nach Osten hatte ich einmal ein sehr interessantes Abenteuer. Soll ich es Ihnen erzählen?«
    »Nein, danke schön«, sagte Klein Stuart.
    Der Arbeiter schien enttäuscht, redete dann aber doch weiter. »Der Norden ist schon etwas Besonderes«, sagte er. »Er hat etwas, was ihn von allen anderen Himmelsrichtungen unterscheidet. Jemand, der nach Norden fährt, tut schon recht daran. Das ist meine Meinung.«
    »So sehe ich das auch«, bekräftigte Klein Stuart, »und deshalb werde ich wohl auch bis zum Ende meines Lebens nach Norden fahren.«
    »Ich könnte mir Schlimmeres vorstellen«, sagte der Arbeiter.
    »Ja, das meine ich auch«, sagte Klein Stuart.
    Wallingford hatte Schlimmeres erlebt. Er war nicht nach Norden unterwegs gewesen, als er Mary Shanahan oder Angie oder Monika mit k -  oder auch seine Exfrau - kennenlernte. Er hatte Marilyn in New Orleans kennengelernt, wo er einen Dreiminutenbericht über Ausschweifungen am Mardi Gras machte; er hatte damals eine Affäre mit einer Fiona Soundso, ebenfalls Maskenbildnerin, gehabt, sie aber für Marilyn abgeschoben. (Ein längst erkannter Fehler.)
    Eine triviale Statistik, aber Wallingford fiel keine Frau ein, mit der er geschlafen hatte, während er nach Norden unterwegs war. Was das Im-Norden-Sein anging, war er dort nur mit Doris Clausen gewesen, und bei ihr wollte er - nicht unbedingt im Norden, sondern wo auch immer - bleiben, und zwar bis zum Ende seines Lebens.
    Patrick hielt um des dramatischen Effekts willen kurz inne und wiederholte dann ebendiese Worte - »bis zum Ende meines Lebens«. Dann sah er den kleinen Otto an, weil er fürchtete, das Kind könnte sich langweilen, doch der Junge war so aufmerksam wie ein Eichhörnchen; seine Augen huschten vom Gesicht seines Vaters zu dem bunten Bild auf dem Einband des Buches. (Stuart in seinem Rindenkanu mit der Aufschrift zur erinnerung an diesen sommer auf dem Bug.)
    Daß er über längere Zeit die Aufmerksamkeit seines kleinen Sohnes gefesselt hatte, freute Wallingford riesig, doch als er Mrs. Clausen ansah, die er eigentlich hatte versöhnlich stimmen wollen, bemerkte er, daß sie eingeschlafen war - aller Wahrscheinlichkeit nach, ehe sie die Relevanz des Kapitels voll begriffen hatte. Doris lag, noch immer Patrick und ihrem kleinen Sohn zugewandt, auf der Seite, und obwohl ihr Haar teilweise ihr Gesicht verdeckte, konnte er sehen, daß sie lächelte. Na ja... vielleicht nicht direkt lächelte, aber doch wenigstens nicht die Stirn runzelte. Sowohl von ihrem Gesichtsausdruck als auch von ihrer ruhigen Entspanntheit her schien ihm Mrs. Clausen mehr mit sich im reinen zu sein, als er sie je erlebt hatte. Vielleicht schlief sie ja auch nur tiefer - im Grunde wußte er es nicht.
    Da es ihm mit seiner neuen Verantwortung ernst war, nahm er Otto junior auf den Arm und schob sich vom Bett - behutsam, um die Mutter des Jungen nicht zu wecken. Er trug das Kind ins andere Zimmer, wo er sich, so gut es ging, an Doris' methodische Vorgehensweise hielt. Er machte sich kühn daran, dem Baby auf dem zum Wickeltisch umfunktionierten Bett die Windel zu wechseln, doch sie war (zu Patricks Enttäuschung) trocken, der kleine Otto war sauber, und während Wallingford noch den

Weitere Kostenlose Bücher